Neuköllner Stadtteilmütter beschäftigten sich in einer Seminarreihe von Aktion Sühnezeichen mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Sie besuchten Ausstellungen und begegneten Zeitzeuginnen. Mit kreativen Schreibmethoden entstanden vielfältige Texte über Geschichte, Erinnerungskultur und heutigen Rassismus. Hier werden ausgewählte Texte veröffentlicht.
Seminarmethode: "Meine Orte"
Ich bin nicht schwarz und du bist nicht weiß.
Das sind nur Zuschreibungen, die die Welt uns gibt.
Kein Kind wird schwarz oder weiß geboren. Denn egal wie andere dich sehen, ob du als schwarz oder weiß bezeichnet wirst: Es sind nur Labels. Labels sagen nicht aus, wer wir wirklich sind. Denn wer wir wirklich sind, das zeigt nicht die Äußerlichkeit der Hautfarbe, das liegt tiefer, unter unserer Haut.
Lass es mich anders erklären: Wenn ich ein Auto fahre, würde mich doch auch niemand mit dem Auto verwechseln. Also warum verwechselst du mich mit meinem Körper? Es ist mein Körper, mein Äußeres – das bin nicht ich.
Der Körper ist wie ein Auto, das wir jeden Tag fahren. Das Autohaus entscheidet, ob es mein Auto das schwarze Modell, deins das weiße Modell und ein anderes das irische Modell nennt – genauso wie die Gesellschaft uns verschiedene Labels aufdrückt. Stell dir vor, ohne Probefahrt wurde dir ein Auto zugeteilt und für den Rest deines Lebens müsstest du damit fahren. Es tut mir leid, aber ich kann keine Logik und keinen Stolz darin finden, mich über die Farbe meines Autos zu definieren. Denn wer wir wirklich sind, das liegt in unserem Inneren.
Ich möchte heute nicht darüber referieren, was die Wissenschaft zu Rasse, Herkunft und Geschlecht sagt - oder auch nicht sagt. Die Kategorie der Rasse wurde erfunden, um die Menschheit zu spalten. Stattdessen möchte ich fragen: Wer würdest du sein, wenn die Welt dir kein Label, keinen Stempel aufgedrückt hätte? Wer würdest du sein, wenn die Welt dich in keine Schublade stecken würde? Wärest du weiß, schwarz, asiatisch, mexikanisch, nahöstlich, indisch? Wir wären eine Einheit, wir wären eine Gemeinschaft. Labels hindern uns eine Person so zu sehen, wie sie ist. Stattdessen sehen wir einander durch konstruierte Brillen, beeinflusst von Voreingenommenheit und Vorurteilen. Wenn du dem Label erlaubst, dich zu definieren, dann machst du dich klein. Und du ziehst eine Trennlinie zwischen dir und den Anderen.
Es ist eine Tatsache, dass immer dort, wo eine Trennlinie gezogen wird, auch Konflikte entstehen. Und Konflikte führen zu Krieg. Und somit beginnt jeder Krieg mit der Zuschreibung eines Labels. Die Antwort auf Krieg, Rassismus, Extremismus und alle anderen Ismen ist also sehr einfach – so einfach, dass die Politiker es bisher übersehen konnten. Es sind die Labels. Wir müssen die Labels durchbrechen!
Kein Kind wird als Rassist geboren. Jedes Kind würde auf den Schrei eines anderen Kindes reagieren, egal welche Hautfarbe, egal welches Geschlecht es hat. Wir sind dafür gemacht, uns miteinander zu verbinden, füreinander zu sorgen. Und das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist die Wahrheit.
Schau dir die Raupe an. Sie muss erst den Kokon durchbrechen, bevor sie sich in einen Schmetterling verwandeln kann. Labels sind wie ein Kokon. Wir müssen frei sein. Erst wenn wir uns von dem Label losmachen, können wir frei sein und einander sehen, wie wir wirklich sind.
Danke.
von Oyebukola Oyelekan
In meiner Heimat habe ich über die Weltgeschichte nur wenig gelernt.
Wenn es in der Schule um Geschichte ging, dann um den Krieg mit Israel im Jahr 1973. Über die deutsche Geschichte wusste ich nur wenig: die Daten, von wann bis wann der zweite Weltkrieg ging, wer gewonnen und wer verloren hatte. Ich hatte also nur sehr wenig Wissen.
Im Geschichtskurs habe ich dann viele neue Informationen bekommen. Besonders interessant waren die Geschichten über Neukölln und den ehemaligen Tempelhofer Flughafen. Ich war erstaunt, dass hier der erste Flughafen in Berlin war. Und ich wusste nicht, dass die Nazis an diesem Ort Lager errichtet hatten.
Die Orte, die wir besucht haben, waren sehr lehrreich. Es ist doch etwas anderes, wenn man über Geschichte in einem Buch liest oder sich selbst die Orte der Geschichte anschauen kann. Ich habe vieles über das Leben und leider auch das Leiden der Menschen in der NS-Zeit gelernt.
Ich habe die Geschichte von Anne Frank gehört, wie sie sich in Amsterdam zwei Jahre vor den Nazis versteckte. Ich habe gehört, wie Otto Weidt den Menschen geholfen hat.
Und wir haben in Schöneweide ein ehemaliges Zwangsarbeiterlager besucht.
Zwangsarbeiter und ihre Familien wurden bestraft, wenn sie geflüchtet sind. Eine Flucht war fast unmöglich. Ich habe überlegt, ob die Nachbarn, die direkt neben dem Lager wohnten, Möglichkeiten hatten, den Zwangsarbeitern zu helfen. Haben Sie vom Fenster oder Balkon die Zwangsarbeiter beobachtet oder haben sie weggeschaut? Hatten sie selbst Angst? Hatten sie Mitgefühl? Wussten sie nicht, wie sie den Menschen helfen können? Was hätten sie tun können?
Heute beschäftigen mich ähnliche Fragen:
Man will helfen, aber die eigene Angst lähmt uns und wir können nicht handeln und aktiv werden, um etwas dagegen zu tun.
Wir Stadtteilmütter müssen mutiger werden und dürfen nicht wegschauen.
Wir wollen mit Neugier beobachten, was um uns herum passiert und uns einmischen, damit so etwas nie wieder passiert.
Wir wollen auch über unsere eigenen Vorurteile nachdenken.
Wir wollen Menschen nicht verurteilen, ohne je mit ihnen gesprochen zu haben.
Wir wollen toleranter sein und die Menschen so akzeptieren, wie sie sind.
von Mona S.
Heute möchte ich über Rassismus sprechen. Was genau Rassismus ist, habe ich selbst erlebt. Deswegen habe ich dieses Thema ausgewählt.
Im Geschichtskurs haben wir viele Informationen über die Geschichte in Deutschland bekommen, viele Menschen kennengelernt und viele Orte besucht. Diese Orte waren für mich sehr wichtig, aber auch sehr traurig, wenn ich zum Beispiel daran denke, wie schmerzhaft es für die Sinti und Roma war. Ich bin froh, dass es heute keine Konzentrationslager mehr gibt.
Aber der Rassismus von damals ist leider auch heute noch aktuell. Rassismus zeigt sich heute in verschiedenen Formen: auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Schule, bei den Behörden und in den Medien. Eigentlich besagt das Gesetz, niemand soll wegen seines Geschlechtes, seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Doch trotzdem gibt es Rassismus.
Der erste Schritt ist die Verallgemeinerung: Wir ordnen andere Menschen gerne Gruppen, wie zum Beispiel einer Nation, zu. Aber eine Nation sagt doch nie und nimmer wirklich etwas über einen Menschen aus. Der zweite Schritt ist die Abwertung: Hat jemand eine andere Kultur, andere Traditionen oder eine andere Religion, führt das bei vielen Menschen zu einer Ablehnung: „Dieser Mensch ist anders, also muss er schlecht sein.“ Aber können wir einen Menschen etwa aufgrund seiner Nationalität beurteilen? Nein, denn man kann nur beurteilen, was man kennt und man kann nie alle Menschen einer Nation kennenlernen.
Wir alle haben Vorurteile. Die Vorurteile haben wir von unseren Eltern übernommen, oder uns im Laufe unseres Lebens – vielleicht aufgrund bestimmter Erfahrungen – angeeignet. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Doch viele Menschen wollen das nicht sehen. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, aber jede ist anders, jede lebt anders. Wir alle haben verschiedene Geschichten und Perspektiven.
Ich danke allen, dass wir in diesem Projekt gemeinsam gearbeitet haben. Durch euch konnte ich mich und meine Gedanken aus einer anderen Sicht sehen. Ich bin selbstbewusster und realistischer geworden. Ich bedanke mich, dass ihr in meiner Nähe wart.
von Nurten N.
Ich kann kaum beschreiben, was ich gefühlt habe, als Petra Rosenberg aus dem Buch ihres Vaters „Das Brennglas“ las.
Das war nicht einfach nur eine Geschichte. Diese Menschen haben all dieses Leid wirklich erlebt! Ich musste sofort an meine eigenen Kindern und unsere zukünftige Generation denken. Wie schwierig das Leben von Otto Rosenberg in den Konzentrationslagern gewesen sein muss! In seinem Alter sollten Kinder frei spielen und gut behütet mit ihren Familien zusammen leben.
Als Petra Rosenberg über ihren Vater erzählte, hatte sie Tränen in den Augen. Mein ganzer Körper zuckte zusammen. Ich wurde unendlich traurig. Ich trauere um all die Familien, die durch die Verfolgung und die Lager auseinandergerissen und zerstört wurden. Ich trauere um die Kinder, die ihre Kindheit verloren haben.
Die Geschichte von Frau Rosenberg hat mich so sehr berührt – auch weil ich selbst in einem Krieg Familienmitglieder verloren habe. Ich muss oft an sie denken.
Die Politiker und die Entscheidungsträger in der Welt haben eine Verantwortung. Und doch gibt es auch heute wieder Krieg. Auch heute reißt der Krieg viele Familien auseinander. Für jeden Menschen, der im Krieg getötet wurde, möchte ich eine Stimme sein und für sie sprechen, wenn ich sage: „Jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht hat die gleichen Rechte und wir müssen diese Rechte schützen.“
Wir wollen uns unterstützen, uns besser kennenlernen, damit wir keine Vorurteile untereinander haben. Und deswegen schätze ich die Arbeit von Frau Rosenberg sehr.
Es braucht viel Kraft und Liebe, um den Mitmenschen zu helfen. Unsere Arbeit als Stadtteilmütter zeigt mir das jeden Tag. Hand in Hand können wir alles erreichen. Gemeinsam sind wir stark.
von Rowaida Allan
Das Seminar hat mich emotional sehr bewegt. Ich bin dankbar, dass ich Frau Friedlander persönlich getroffen habe und ihre Geschichte kennen lernen konnte.
Sie musste damals ihre Identität wechseln und sich verstecken, um zu überleben. Sie musste jeden Tag neu ums Überleben kämpfen. Sie wusste nicht, ob es für sie ein Morgen gibt. Heutzutage sind wir bei jeder Kleinigkeit depressiv. Doch sind es ganz kleine Probleme im Gegensatz zu dem Leid der Menschen damals.
Frau Friedlander hat mich so beeindruckt. Ich finde es großartig, dass sie weiterhin Lesungen gibt, um die jungen Menschen zu sensibilisieren, dass so etwas nie wieder passiert. Ich werde versuchen, so wie Frau Friedlander, diese Botschaft auch weiterzugeben, an die Familien, die ich besuche, an meine Bekannten und Freunde – damit so etwas nie wieder passiert.
Es schmerzt mich, dass Auschwitz in Polen, meinem Geburtsland, liegt. In den letzten Monaten gab es viel Streit in den Medien über die polnische Geschichte. Kaum einer spricht darüber wie die Polen im zweiten Weltkrieg unter der deutschen Besatzung gelitten haben - auch meine Familie!
Dieses Foto zeigt meine Großeltern nach dem Krieg, im Jahr 1947. Meine Oma musste im Krieg Zwangsarbeit leisten. Die Deutschen zwangen sie Schützengräben zu graben in der Nähe ihres Dorfes Przysieka bei Posen. Ihr Vater wurde als Zwangsarbeiter nach Schleswig-Holstein verschleppt. Er war auf einem Bauernhof in der Nähe von Lübeck.
Die Familie meines Opas litt auch sehr unter den deutschen Soldaten. Auf diesem Foto sieht man meinen Opa und seine Familie im Jahr 1941. Mein Opa war 19 als der Krieg begann. Als ich klein war, erzählte er mir, wie die Soldaten kamen und das Haus durchsuchten, ihn geschlagen haben und die Familie mit Waffen bedrohten.
Trotz dieser schweren Geschichte bin ich froh, in Deutschland zu leben. Ich bin nicht nachtragend. Ich fühle mich hier wie in meinem eigenen Land. Und ich wünsche mir, dass wir alle in Frieden miteinander leben. Der Krieg ist Vergangenheit. So soll es bleiben.
von Beata Werner
Das, was in den Konzentrationslagern geschehen ist, darf niemals wieder passieren!
Es ist für mich unfassbar, wie ein Mensch dazu fähig war, ein Tötungslager für Menschen zu errichten, um dort Kinder, alte Menschen und überhaupt Menschen auf eine grausame Art zu misshandeln, zu erniedrigen, zu foltern und zu töten.
Es sind viele Jahre seit dem 2. Weltkrieg vergangen. Aber es gibt noch Überlebende, die uns von den grausamen Taten in den Konzentrationslagern berichten können. Immer wenn ich eine KZ-Gedenkstätte besichtige, wenn ich Erzählungen von Überlebenden höre oder Filme über das Leben im KZ sehe, fühle ich eine tiefe Traurigkeit. Ich empfinde großen Respekt und Wertschätzung vor den Menschen, die das Grauen in den KZs überlebt haben.
Es ist wichtig, diese Menschen zu treffen, ihren Erzählungen zuzuhören, auch wenn sie uns häufig verstören und wie uns das Grausame des Alltags im KZ aus heutiger Sicht nicht vorstellen können. Die Menschen, die KZs überlebt haben und die Gedenkstätten zeigen uns, wie wichtig es ist, sich um die Demokratie im Land zu kümmern, diese zu schätzen und diese zu leben.
Ich hoffe, dass wir, meine Kinder und meine Enkel sowie die gesamte Menschheit nie wieder Zeuge solcher grausamen Taten sein werden und wir in Frieden miteinander leben können.
von Maria Malecka