Vom 21. bis 24. Juni 2017 fand in Minsk das 25-jährige Jubiläum der Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Belarus statt.
Angehörige haben an die Bäume die Lebensdaten der hier im Wald von Blagowtschina Ermordeten angebracht.
„Ich möchte den Freiwilligen für ihre Arbeit danken und wünsche Aktion Sühnezeichen Friedensdienste weitere gute 25 Jahre“, sagte Regina Alexandrowna Lawrowitsch von Dolja zum Abschuss der Veranstaltung. Zuvor hatte sie erzählt, wie der Verein vor einem Vierteljahrhundert auf sie zukam und was sich aus diesen Anfängen entwickelt hat:
„Zu Beginn wurden wir immer wieder angesprochen: ‚Wie können Sie denn Deutsche empfangen, die uns so viel Leid angetan haben‘? Heute sehen wir, welch gute Arbeit eure Freiwilligen tun, wie stark sie das Leben der Menschen bereichern, die sie begleiten. Wir haben unser Verhalten sehr verändert, seit wir mit ihnen zu tun haben“.
Dolja ist ein Verband ehemaliger Zwangsarbeiter*innen in Minsk und war lange Jahre Projektpartner von ASF. Die Freiwilligen besuchten Mitglieder des Verbandes zu Hause, unterstützten im Alltag und gestalteten Treffen mit.
Rund 90 Menschen aller Altersgruppen waren in Minsk zusammen gekommen, um das 25jährige Jubiläum der Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Belarus zu begehen: aktuelle und ehemalige Freiwillige, Projektpartner*innen, Überlebende, Sommerlager- und Studienreise-Teilnehmende, Wegbegleiter*innen sowie Mitarbeitende.
Der Termin wurde nicht zufällig gewählt, jährte sich doch der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni zum 76. Mal. Dazu Vorstandsmitglied Jakob Stürmann in seiner Rede während des Empfangs in der Deutschen Botschaft:
„Wir möchten heute gemeinsam unser Jubiläum und unsere langjährige Zusammenarbeit begehen. Der heutige 22. Juni ist aber ebenfalls der 76. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Dieser Tag hat für die Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zentrale Bedeutung. Besonders an diesem Tag möchten wir gedenken. Gedenken an die Millionen Opfer, die der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gefordert hat. Gedenken an die Opfer des Holocaust und an die Opfer des sogenannten „Euthanasie“-Programms“."
Das Jubiläum war stark geprägt von der persönlichen Begegnung mit den belarussischen Projektpartner*innen: der Geschichtswerkstatt Minsk, dem Kinderkrebskrankenhaus Barawljany, der Weißrussischen Assoziation zur Hilfe von behinderten Kindern und Jugendlichen (BelAPDI i MI), dem Verband ehemaliger Zwangsarbeiter*innen Dolja, der Internationalen gesellschaftlichen Vereinigung „Verständigung“ sowie dem Jüdischen Sozialzentrum Hessed-Rahamin und dem Hessed David in Brest. Berührende Begegnungen gab es auch mit dem jüdischen Überlebenden Pavel Markowitsch Rubintschik, der das Minsker Ghetto und Zwangsarbeit überlebte. In einem Zeitzeugengespräch erzählte der 89jährige von seinen Erlebnissen zwischen dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion – auf den Tag genau vor 76 Jahren – bis Kriegsende. Auch die Geschichte Andrei Iwanowitsch Moiseenkos lernten die Teilnehmenden in seiner Anwesenheit durch ein bewegendes Filmportrait kennen. Er resümierte: „Es war einfach Zufall, dass ich überlebte. Nie habe ich über meine Geschichte gesprochen, mit niemandem. Es war unmöglich zu beschreiben. Ich wollte vergessen“. Der Film startet im Herbst (siehe auch unter www.andrei-iwanowitsch.com).
Die Teilnehmenden besuchten zahlreiche Gedenkorte in Minsk und Umgebung, unter anderem die „Jama“ auf dem Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos (wo die SS am 2. März 1942 etwa 5.000 Juden erschoss), Maliy Trostenec und den Wald von Blagowtschina (wo zwischen Sommer 1941 und Frühjahr 1944 bis zu 150.000 Menschen von den deutschen Besatzern durch Erschießung und in Gaswagen ermordet wurden) und Chatyn (wo 1943 zwei SS-Kommandos in einer „Vergeltungsaktion“ das Dorf überfielen und vollständig niederbrannten, nur vier Menschen überlebten). So viele Orte zeugen von der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Komplex ist die Rezeption dieser Geschichte bis heute, weil sich die historischen Narrative, der Umgang mit der belarussischen Erinnerung, mit der politischen Situation der Vergangenheit und Gegenwart stets verändern. Lange blieb offen, wie und ob der belarussische Staat neben dem starken und institutionalisierten Heldengedenken auch an die vielen zivilen und jüdischen Opfer des Krieges erinnert. Gestritten wird bis heute auch über Zahlen, die die Dimension der Morde zeigen sollen, die Formen der Erinnerung und die historische Bewertung. Dies wurde in Exkursionen und im Gespräch über Gedenk- und Erinnerungskultur thematisiert. Darüber hinaus diskutierten die Teilnehmenden gemeinsam mit dem von ehemaligen Freiwilligen gegründeten Verein Kanikuli e.V. über Zukunftsperspektiven für die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung in Belarus. Ein Höhepunkt des Jubiläums war der feierliche Empfang in der Residenz des Deutschen Botschafters. Frau Anja Luther, Ständige Vertreterin des Deutschen Botschafters in Minsk, erinnerte am 22. Juni an die Opfer des grausamen Vernichtungskrieges und stellte die besondere Arbeit der Freiwilligen vor Ort hervor.
Stimmen von Anwesenden:
„Die Freiwilligen sind ein Bindeglied geworden zwischen der deutschen und der belarussischen Gesellschaft. Ihr Erscheinen hat eine sehr wichtige Rolle dabei gespielt zu verstehen, wie das heutige Deutschland ist. Die deutschen Freiwilligen haben einen großen Beitrag für die gegenseitigen guten Beziehungen geleistet“.
Viktor Bajakilew, Projektpartner und Leiter der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte IBB in Minsk, wo das Jubiläum stattfand
„Alle Eltern in Belarus, die in ihren Familien Kinder mit Beeinträchtigungen haben, danken den Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Für uns waren die Einrichtungen verschlossen, wo unsere Kinder lebten. Die Freiwilligen haben uns Zugang dorthin verschafft. Sie haben uns zum Nachdenken angeregt, uns die Augen geöffnet. Das, was wir heute sind, haben wir ihnen zu verdanken.“
Jelena Titova, Leiterin der Weißrussischen Assoziation zur Hilfe von behinderten Kindern und Jugendlichen (BelAPDI i MI)
„Als die jungen, deutschsprachigen Freiwilligen nach Belarus kamen und sagten, dass sie nicht zur Armee wollten, sondern dort einen Dienst für den Frieden tun, wo die Deutschen besonders schlimme Verbrechen begangen hatten, fand ich das erstaunlich. Heute kann ich sagen: Durch diese nicht-materielle Hilfe haben wir viel erreicht.“
Olga Alinikowa, Leiterin des Forschungs- und Behandlungszentrums für pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Immunologie in Borovljani
„Die Arbeit der Freiwilligen trägt dazu bei, dass die Lebensqualität unserer Kinder steigt. Das ermöglicht es uns den Kindern trotz wenig Personals viel Zeit und Zuneigung schenken zu können. Vielen Dank, dass Sie unseren Kindern Wärme und Zuneigung schenken.“
Andrej Voktorowitsch, Leiter des Kinderheims für Kinder mit Behinderungen und Besonderheiten in der psychischen Entwicklung in Nowinki
„Im Namen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste möchte ich mich deshalb in diesem Rahmen noch einmal besonders bei unseren Projektpartner*innen bedanken. Sie ermöglichen seit Jahren einen kontinuierlichen Austausch über Grenzen hinweg und schaffen den Rahmen für Begegnungen auf einer persönlichen Ebene. Ohne sie wäre unsere Arbeit hier vor Ort nicht möglich.“
Jakob Stürmann, Vorstand von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
„Ich bin all unseren Partnern, Freiwilligen und allen anderen Gästen dankbar, dass wir etwas bewegen können. Ein großer Dank gilt all denen, die uns in diesen drei Tagen begleitet haben.“
Anzhela Beljak, Landesbeauftragte von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Die Veranstaltung wurde gefördert durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.