Seit fünfzig Jahren engagiert sich Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in den Vereinigten Staaten von Amerika, seit 2014 auch mit dem deutsch-amerikanisch-jüdischen Programm Germany Close Up. Ein Blick auf Begegnungen in fünf Jahrzehnten.
1968: stürmische Zeiten. Im März ruft Aktion Sühnezeichen in West-Berlin zur Demonstration gegen den Krieg in Vietnam auf. Im April wird in Memphis Martin Luther King ermordet. Im Juli gründet sich der westdeutsche Verein »Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste«. Die Friedensdienste ergänzen und kommentieren fortan das Sühnezeichen in einer Zeit der Ost-West-Konfrontation und weltweiten Aufrüstung.
Im Oktober 1968 brechen erstmals drei Frauen und drei Männer mit ASF in die USA auf. Eingeladen und unterstützt werden die ASF-Freiwilligen von amerikanischen Kirchen, unter anderen von den Quäkern und Mennoniten, von der Church of the Brethren, der United Church of Christ und der Presbyterian Church. Diese Kirchen sendeten nach Kriegsende selbst Freiwillige ins zerstörte Europa. Ihr Dienst solle keine Einbahnstraße bleiben, denn auch die Menschen in den USA leiden unter Problemen, unter Rassismus, Armut und sozialer Ungerechtigkeit.
Die amerikanischen Partner*innen finden in den ASF-Freiwilligen fortan motivierte Mitstreiter*innen: in den Slums der Großstädte, in den Reservaten der amerikanischen Ureinwohner*innen, in der Landarbeiter*innen-Bewegung und ihrer Gewerkschaft »United Farm Workers«. Der Dienst in den USA sozialisiert und politisiert junge Menschen zu lebenslanger gelebter Solidarität. Viele von ihnen bringen Impulse zurück nach Europa.
Aktuell leisten über die Hälfte der ASF-Freiwilligen in den USA ihren Dienst in sozialpolitischen Projekten. Sie unterstützen und begegnen Menschen ohne Obdach, sozial schwachen Familien, Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Erkrankungen. Sie können bestehendes Unrecht nicht aus der Welt schaffen, aber schaffen alternative Räume und üben Solidarität ein.
Tausende deutsche und europäische Jüdinnen und Juden fanden während und nach der NS-Verfolgung in Amerika eine neue Heimat. Es braucht lange, bis ASF eine Zusammenarbeit mit jüdischen Partner*innen beginnen kann. 1979 nimmt die »Anti Defamation League B’nai B’rith« in New York den ersten ASF-Freiwilligen auf. 1984 erklärt sich das New Yorker »Project EZRA« als erste jüdische Sozialorganisation für die Zusammenarbeit bereit, nicht ohne Vorbehalte und Sorgen. In den 1990er Jahren wird die soziale Arbeit bei jüdischen Projektpartner*innen ausgebaut, vor allem Besuchsdienste bei Überlebenden. Hinzu kommen neue Projekte der historischen und politischen Bildung.
Etwa ein Dutzend der derzeit 22 ASF-Freiwilligen in den USA engagiert sich bei jüdischen Partnerorganisationen. Sie lernen bei ihnen ein vielfältiges jüdisches Leben kennen. Das ihnen entgegengebrachte Vertrauen ist für sie und für ASF bis heute ein kostbares Geschenk.
Zugleich unterstützen Freiwillige aus den USA Aktion Sühnezeichen Friedensdienste von Beginn an auch in Westdeutschland. 1996 startet ASF ein internationales Programm in Deutschland . Daran nehmen aktuell bis zu zwanzig Freiwillige pro Jahr teil, unter ihnen auch viele US-Amerikaner*innen.
2005 findet in Kooperation mit Partnern in Camden das erste deutsch-amerikanische Sommerlager statt. 2012 folgt ein Sommerlager in Philadelphia. 2016 arbeitet eine Sommerlagergruppe in Detroit im afroamerikanisch-jüdischen Nachbarschaftsverein „»Eden Gardens Block Club“« mit. 2017 kommt eine Gruppe aus Detroit nach Berlin. 2018 findet erneut ein Sommerlager in Detroit statt.
Seit 2014 ist Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Trägerin von Germany Close Up. In jedem Jahr werden hier 250 junge amerikanischen Jüdinnen und Juden nach Deutschland eingeladen und erleben ein intensives Begegnungsprogramm. Seit der Gründung im Jahr 2007 zunächst am Centrum Judaicum haben mehr als 2500 Menschen teilgenommen. GCU arbeitet mit einer großen Bandbreite an jüdischen Partnern in den USA und in Deutschland, sowohl mit liberalen, aber auch mit konservativen und orthodoxen Gemeinden und Institutionen. Während zuvor der Dialog zwischen Deutschland und der amerikanisch-jüdischen Welt auf sehr kleine und elitäre Kreise beschränkt war, sind es nun weite Kreise jüngerer Menschen, die sich auf dieser Ebene des transatlantischen Dialogs engagieren.
Eine Reise mit GCU ist für die Teilnehmenden oft herausfordernd. Umfragen in den USA zeigen, dass bis heute im Großteil der jüdischen Familien großer Vorbehalte gegenüber Deutschland bestehen, keine Produkte aus Deutschland zu kaufen und das Land nicht zu bereisen. Diese Zurückhaltung ist dabei in Familien, die keinen familienbiographischen Bezug zur Schoa haben, sogar oft noch größer als in Familien, wo Großmutter oder Großvater ihre Erinnerungen teilten – oder auch gerade nicht teilen wollten oder konnten.
In den ersten Tagen einer jeden Reise beschäftigen sich die Teilnehmenden intensiv mit der deutschen Vergangenheit, später kommen dann Themen der Gegenwart und er Zukunft in den Blick. Schwierige Themen wie Antisemitismus und Rechtspopulismus werden dabei nicht ausgespart, sondern sind für dieses Programm konstitutiv. Denn nur so können tragfähige Brücken gebaut werden.
Unsere Arbeit in den USA ist nur möglich Dank der Unterstützung amerikanischer Freund*innen und Partner*innen. Sie öffnen unseren Freiwilligen ihre Häuser und Herzen. Sie unterstützen ASF in großem Maße auch finanziell. 1998 gründet sich der Freundeskreis »American Friends of Action Reconciliation Service for Peace«.
2018: Es sind ebenfalls stürmische Zeiten. Die Demokratien diesseits und jenseits des Atlantiks sind gefährdet. Soziale Gerechtigkeit ist noch immer Utopie, Gewalt und Kriege erschüttern die Welt bis heute. Die USA waren und sind für viele Menschen Projektionsfläche für Sehnsüchte und Träume, für Verschwörungstheorien und Feindbilder. Unsere Begegnungsprogramme und Dienste verändern, korrigieren und bereichern die Bilder, bauen Brücken, aktivieren Menschen bis in die Gegenwart zu politischem und sozialem Engagement. Zum sechzigsten Geburtstag von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gibt Debra L. vom amerikanischen Freundeskreis uns Folgendes auf den Weg: »Als ASF die Zusammenarbeit mit jüdischen Partner*innen in den USA begann, war das für beide Seite oft unbequem. Wir sollten auch heute schauen, was die unbequemen Herausforderungen sind und uns ihnen stellen.«