Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet Dr. Cathleen Fisher im Feld der transatlantischen Beziehungen. Sie beschreibt, was die uS-amerikanische Demokratie derzeit gefährdet. Und wodurch sie gestärkt werden kann.
Während der dreißigste Jahrestag des Falls der Berliner Mauer näher rückt, ist es nicht leicht, sich an 1989/90 zu erinnern, als sich die Strukturen des Kalten Krieges aufzulösen begannen und sich der Lauf der Geschichte in eine demokratischere und friedlichere Zukunft zu entwickeln schien. Obwohl die Umrisse der Zukunft noch verschwommen waren: Die Stimmung war voller Hoffnung.
Etwa drei Jahrzehnte später verbreiten eine zerfallende Weltordnung und gefährdete Demokratien Angst und Entsetzen. Ein Niedergang der demokratischen Prozesse und Ordnung in den Vereinigten Staaten scheint plötzlich denkbar und Spannungen in den westlichen multilateralen Institutionen und Allianzen lösen Spekulationen über den Zerfall der NATO, eine Zersplitterung der EU und das Ende des freien Handels aus.
Manhattan Bridge und Brooklyn Bridge, fotografiert von Josh Cahn, einem Alumnus des Germany Close Up Programms.
In Washington D.C. ist das Gefühl von Niedergeschlagenheit in der transatlantischen Gemeinschaft deutlich spürbar. Amerikaner*innen, die fest an den Wert von Kooperation und Austausch zwischen den Vereinigten Staaten und Europa glauben, müssen zusehen, wie die NATO und die EU vom US-Präsidenten herabgewürdigt werden und wie die Regierung in der Außen- und Verteidigungspolitik trotzig die »America First«-Maßgabe durchsetzt.
Die Gefahren für die demokratischen Prozesse innerhalb der Vereinigten Staaten sind nicht nur Medienfutter, sondern real existent. Die republikanische Partei hat sich voll hinter der Präsidentschaft Trumps versammelt und verhindert damit eine effektive legislative Kontrolle der exekutiven Machtausübung. Obwohl einige der Aktionen der Trump-Regierung rechtliche Reaktionen hervorgerufen haben, könnte die Möglichkeit der Gerichte, die Vorstöße dieser Regierung zu überwachen und einzugrenzen mit dem sich verschiebenden politischen Gewicht im Supreme Court und nachgeordneten Gerichtshöfen schwinden. In Gefahr sind dabei vor allem die jahrzehntelang erfochtenen Fortschritte sowohl für die Rechte von Frauen, Minderheiten und der LGBTQI-Community als auch der Schutz von Arbeiter*innen, Verbraucher*innen und der Umwelt. Die wiederholten Angriffe des Präsidenten auf die staatlichen Geheimdienst- und Ermittlungsbehörden, die verbalen Schmähungen der Presse als Vertreter von »fake news« sowie die unablässige Verbreitung von Lügen und »falschen oder irreführenden Behauptungen« – nach Zählung der Washington Post 4.229 an der Zahl (Stand: 1. August 2018), untergraben das öffentliche Vertrauen in die Regierungsinstitutionen und jede Art von faktenbasierter Politik. Der Diskurs schwindet durch die aggressive Verunglimpfung von Kritiker*innen aus dem öffentlichen Leben und durch das Tolerieren von fremden- und frauenfeindlichen Aussagen und Handlungen von Trump-Unterstützer*innen.
Woman's march in Washington, D.C. im Januar 2017
Aufgrund des Mangels an Kontrolle durch die Mehrheitspartei hängt nun die Rettung unserer Demokratie auf kurze Sicht an der Demokratischen Partei, unterstützt durch die Presse, die Bundesstaaten und die Zivilgesellschaft. Noch halten diese Institutionen der amerikanischen Demokratie, zumindest für den Augenblick. Und vielen Amerikaner*innen werden gerade nicht nur die Gefahren bewusst, sondern auch die Möglichkeiten und die Notwendigkeit für ein neues öffentliches Engagement auf allen Ebenen.
Nach Jahrzehnten des Verlusts von Leser*innen und des Gefühls von Bedeutungsverlust wegen des technologischen Wandels und sozialer Medien nehmen die reichweitenstarken Medien nun mit frischer Energie ihre zentrale Rolle als freie Presse in einer Demokratie wahr. Obwohl sie in den Twitter-Tiraden des Präsidenten häufig an den Pranger gestellt werden, bleiben die New York Times, Washington Post, CNN und andere Nachrichtenportale hartnäckig, die aktuelle Regierung und andere öffentliche Amtsträger*innen durch investigative Recherchen zur Rechenschaft zu ziehen und falsche Behauptungen richtigzustellen.
Außerhalb von Washington erleben wir eine Blüte des Föderalismus. Während in den vergangenen Jahrzehnten die Interessen und Rechte der Bundesstaaten eher von Repräsentant*innen der konservativen Staaten vertreten wurden, die verhindern wollten, dass progressive Bundespolitik umgesetzt werde, geht die derzeitige Renaissance des Föderalismus eher von den blauen, also demokratisch regierten Staaten aus, die entschlossen sind, die Erfolge der vergangenen Jahre zu schützen und eine Politik zu erhalten, die den Klimawandel bekämpft.
Vor allem im ländlichen Raum der Vereinigten Staaten sind viele misstrauisch gegenüber dem technologischen Fortschritt.
Die progressiven Staaten haben dabei Verbündete in den Netzwerken amerikanischer zivilgesellschaftlicher Organisationen gefunden. Nichtregierungsorganisationen (NRO) wie die American Civil Liberties Union, Human Rights Campaign und Planned Parenthood haben ihre Aktivitäten und ihre Bildungsarbeit verstärkt, teilweise finanziert durch die Unterstützung von Einzelpersonen und Stifter*innen. Auch auf der lokalen Ebene spielen NRO eine wichtige Rolle. Innerhalb weniger Stunden nach der Verfügung des Präsidenten im Januar 2017, dass Personen aus muslimischen Staaten nicht einreisen dürfen, haben lokale Nichtregierungsorganisationen Einsatzteams von Anwält*innen und Rechtsberater*innen organisiert und Webseiten für Betroffene mit hilfreichen Informationen eingerichtet.
Im Frühjahr 2018 ergab eine von der Washington Post und der Kaiser Family Foundation durchgeführte Befragung, dass seit 2016 ein Fünftel der Amerikaner an einer politischen Demonstration teilgenommen hat; für 19 Prozent der Befragten war es das erste Mal überhaupt. Die überwältigende Mehrheit der Befragten hatte an Veranstaltungen teilgenommen, die gegen die Politik der Trump-Regierung gerichtet waren.
Frauen sind dabei politisch engagierter als je zuvor. Die erste Massenkundgebung gegen die Trump-Regierung war der Women’s March am Tag nach der Vereidigung des Präsidenten. Aber Frauen laufen nicht nur in Märschen mit, sie kandidieren auch für Ämter auf der lokalen, regionalen und staatlichen Ebene. Emily’s List, eine Nichtregierungsorganisation, die weibliche Kandidatinnen unterstützt, die sich auch für das Recht auf Abtreibung einsetzen, berichtet, dass sich seit der Präsidentschaftswahl 2016 etwa 40.000 Frauen bei ihrer Organisation gemeldet haben, die sich für eine politische Kandidatur interessieren – im Vergleich zu wenigen Tausend im Wahlzyklus zuvor. Viele dieser Frauen haben auf Worte Taten folgen lassen. Bis zum Juli 2018 haben sich 476 Frauen für eine Kandidatur für das Repräsentantenhaus registrieren lassen – und damit den Rekord von 298 weiblichen Kandidaten aus dem Jahr 1992 eingestellt. Der Großteil entfällt auch hier auf die Demokratische Partei.
Ohne eine Mehrheit in einer der beiden Kammern des Kongresses sind die Möglichkeiten der Demokratischen Partei, die Regierung zu kontrollieren, begrenzt. Daher sind alle Augen auf die bevorstehenden Midterm-Wahlen im November 2018 gerichtet. Obwohl in den Vorhersagen erhebliche Gewinne für die Demokraten prognostiziert werden, sind Mehrheiten alles andere als sicher. Das Wahlsystem begünstigt Wähler*innen aus ländlichen Regionen und gibt ihnen starkes Gewicht. Das „Gerrymandering“, also das strategische Verschieben von Wahlbezirksgrenzen für die Kongresswahlen, um gewisse Wahlbezirke für die Wahlen auf der Staatenebene einer der beiden Parteien zu sichern, begünstigt die Nominierung und den Sieg extremerer Kandidaten. Entscheidend wird hier die allgemeine Wahlbeteiligung sein.
Die amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten: Es gibt ein urbanes und kosmopolitisches Milieu, das sich leichter tut mit der Globalisierung, der Ausweitung von Rechten für diejenigen, die herkömmlich eher benachteiligt wurden und mit einer Vision von Demokratie – und amerikanischer Identität –, die vielfältig und inklusiv ist. Im Kontrast dazu gibt es viele Amerikaner*innen in Kleinstädten, ländlichen Gegenden und sterbenden Industrieregionen, die der Globalisierung misstrauisch gegenüber stehen. Ebenso dem technologischen Fortschritt, der Arbeitsplätze vernichtet hat, die vorher von Menschen mit wenig Bildung ausgefüllt wurden. Für diese Wähler*innen rufen die Slogans von Trump wie »make America great again« tröstende Erinnerungen an eine Zeit hervor, in denen Frauen, Minderheiten und »Andere« nur wenig Macht, Rechte und Chancen hatten.
Was bedeutet all dies für die Beziehungen Amerikas zu anderen Ländern, insbesondere zu seinen bisherigen Verbündeten? Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass Trump, obwohl er eine Ausnahme in der Reihe amerikanischer Präsidenten darstellt, in zwei bis sechs Jahren weg sein wird. Obwohl die Korrektive des amerikanischen politischen Systems, die berühmten »Checks and Balances«, geschwächt wurden, sind sie nicht außer Kraft gesetzt. Amerikas Verbündete – und Kritiker – sollten auch die Vitalität der Verwaltungen auf der lokalen und bundesstaatlichen Ebene, der Unternehmen und gemeinnützigen Verbände, der Presse, der Gerichte und der Bürger*innen wahrnehmen, die die demokratischen Traditionen und Prozesse verteidigen.
Auch andere westliche Demokratien müssen mit den Spaltungen zwischen urbanen und ländlichen Regionen umgehen und mit verstärkter Identitätspolitik. Das Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt nicht nur in den USA und die Grenzen der Befugnisse präsidentieller Macht werden auch anderswo ausgetestet und überschritten. Während wir auf die Wirkung korrektiver Kräfte warten, können Nichtregierungsorganisationen in diesen Zeiten wachsender politischer Belastung eine zentrale Rolle dabei spielen, den gesellschaftlichen Austausch zu erhalten. Dies gilt vor allem für Organisationen, deren Mission es ist, an der Basis zu gegenseitigem Verständnis beizutragen und Vorurteile und falschen Pathos zu überwinden, welche durch soziale oder von sensationslüsternen Medien verbreitet werden.
Mein eigenes Verständnis der Welt – und meines eigenen Landes – wurden fundamental durch meine Erfahrungen in Deutschland geprägt, erst als Austauschschülerin mit Youth for Understanding und später im Studium als Fulbright-Stipendiatin. In meiner aktuellen beruflichen Funktion erfahre ich oft von Wissenschaftler*innen, die von der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert wurden. Von ihren lebensverändernden Erlebnissen als »Humboldtianer«, womit sie nicht nur den Einfluss meinen, den ihr Aufenthalt in Deutschland auf ihre Forschung und Wissenschaftskarriere hatte, sondern auch auf ihre Sichtweise auf Deutschland und die Welt.
Im Kontext einer unsicheren Welt und einer veränderten Wahrnehmung dessen, wer Freund und wer Feind ist, erhält die Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Germany Close Up eine besondere Dringlichkeit und Wichtigkeit. In Zeiten größer werdender diplomatischer Differenzen zwischen den USA und Deutschland brauchen wir Programme, die Menschen dazu bringen, Stereotype zu hinterfragen, die Dialog fördern und sowohl Selbstreflexion als auch kollektives Nachdenken über Geschichte, Verantwortung von Bürger*innen, Demokratie und Gesellschaft anstoßen.
Sich aus diesem Engagement zurückzuziehen, wäre ein Fehler. Obwohl die USA vor Herausforderungen stehen, die demokratischen Normen wiederherzustellen, die tiefen Gräben innerhalb der Gesellschaft zu überbrücken und gegen undemokratische und extremistische Kräfte vorzugehen, sind einige der Risiken für die amerikanische Demokratie nicht einzigartig, wie man am Aufstieg der AfD in Deutschland und anderen populistischen Bewegungen und Parteien in Europa sehen kann. In diesen Zeiten braucht es nicht weniger, sondern mehr Dialog zwischen den Zivilgesellschaften, um gemeinsame Probleme zu benennen, mögliche Lösungsansätze zu teilen und die gemeinsamen Werte, Ziele und Hoffnungen wiederzuentdecken und zu bekräftigen. Die Zukunft unserer jeweiligen Demokratien und der transatlantischen Zusammenarbeit könnte davon abhängen.
Dr. Cathleen Fisher ist Präsidentin der American Friends of the Alexander von Humboldt Foundation (AvH), die gemeinsam mit der Alexander von Humboldt-Stiftung und deren Alumni aus den USA die akademische Zusammenarbeit mit Deutschland fördert. Sie hat einen Doktor im Fach Government and Politics der Universität von Maryland.