Der Lebensweg des jiddisch sprachigen Schriftstellers Itsik Fefer
1944 veröffentlichte der sowjetische Schriftsteller Itsik Fefer das jiddischsprachige Gedicht »Ich bin a jid«. In 14 Strophen beschreibt er darin sein eigenes Selbstverständnis, ein Jude und zugleich ein Sowjetbürger zu sein. Ein Bekenntnis, das für die damalige Zeit durchaus bemerkenswert war, denn öffentlich so ausdrucksvoll zur eigenen Jüdischkeit zu stehen, war in der Sowjetunion lange Zeit nicht möglich. Erst im Schatten des Holocausts wurde dies für kurze Zeit von der Staatsführung geduldet. Fefer war beim Verfassen des Gedichts sicher nicht bewusst, dass dieses Bekenntnis wenige Jahre nach Kriegsende zur Grundlage staatlicher Verfolgung werden sollte.
Der Schriftsteller und überzeugte Kommunist Fefer war 1900 im sogenannten jüdischen Ansiedlungsrayon im Westen des Zarenreiches geboren. Schon in seiner Jugend begann er in einer Druckerei zu arbeiten und schloss sich dort der im Land erstarkten jüdischen Arbeiter*innenbewegung an. Nach kurzer Zeit wechselte er zu den Bolschewiki und kämpfte als Rotarmist im russischen Bürgerkrieg. Zu dieser Zeit begann auch seine Karriere als jiddischsprachiger Schriftsteller. Fefer wurde in den 1920er Jahren zu einem angesehenen sowjetischen Schriftsteller. Für den »neuen sowjetischen Menschen« im Stil des sozialistischen Realismus schreibend, verstand er dabei seinen Stift als eine scharfe Waffe und er schreckte nicht davor zurück, in seinen Werken echte und vermeintliche Feinde der Sowjetunion anzugreifen.
Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion veränderte Fefers Leben grundlegend. Er besuchte die Front, verfasste zahlreiche Artikel über das Kriegsgeschehen und wurde wenige Monate später Präsidiumsmitglied des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (JAK). Zwar war es Fefer unmöglich, das ganze Ausmaß des Holocaust während des Krieges zu überblicken, als Mitglied des JAK erreichten ihn aber frühzeitig Berichte über Vernichtungsaktionen an der jüdischen Bevölkerung. Als die Rote Armee ab 1943 nach und nach Gebiete zurückgewann, wurde das Ausmaß des Terrors durch die deutschen Besatzer*innen immer sichtbarer.
Das Gedicht »Ich bin a jid« zeigt beispielhaft, dass die Erfahrungen über Krieg und Holocaust zu einer Rückbesinnung auf die eigene jüdische Herkunft sowie zu einer noch engeren Bindung zur Sowjetunion führten. In den Gedichtstrophen wird sowohl die politische Führung der Sowjetunion als auch die Rote Armee gewürdigt. Letztere sah nicht nur Fefer als wichtigste Front gegen den Nationalsozialismus. Er hebt im Gedicht anhand des Soldaten Lasar Papernik und des Offiziers Solomon Gorelik hervor, dass Juden ein selbstverständlicher Teil dieser Armee gewesen sind. Diese explizite Herausstellung und Heroisierung jüdischer Kriegsbeteiligung widersprach dem Verständnis einer kollektiven sowjetischen Zugehörigkeit, sie wurde zu Kriegszeiten aber von staatlicher Seite geduldet und in Teilen sogar unterstützt. Gegen den deutschen Feind mussten alle Kräfte gebündelt werden, was auch dazu führte, bisher nicht gewährte Freiheiten zuzulassen.
Nach dem Krieg hofften die sowjetischen Jüdinnen und Juden, die den Holocaust überlebt hatten, auf den Fortbestand eines jüdischen Komitees im Land. Dass die Gründung des JAK für die Mehrheit im Politbüro und besonders für Stalin aber nur ein Mittel zum Zweck gewesen war, wurde relativ schnell ersichtlich. Im beginnenden Kalten Krieg wurde der Feind neu bestimmt und das Komitee verlor seine Relevanz. 1948 wurde es aufgelöst und die von ihm herausgegebene jiddischsprachige Zeitung verboten. Anschließend wurden mehr als ein Dutzend hochrangige Mitglieder verhaftet. Die Kontaktaufnahme zu jüdischen Organisationen im Ausland und die Artikulation des eigenen jüdisch-sowjetischen Selbstverständnisses wurde den Angeklagten nun in einem Geheimprozess vorgeworfen und zu einem gefährlichen »Kosmopolitismus« und »jüdischen Nationalismus« uminterpretiert. Selbst ein überzeugter Kommunist wie Fefer, der sogar als Spitzel für den Geheimdienst gearbeitet hatte, konnte sich dieser Anklage und seiner späteren Ermordung nicht entziehen.
Fefers Gedicht von 1944 ist ein Beispiel der bis in die 1940er Jahre bestehenden vielfältigen jiddischsprachigen sowjetischen Literatur. In ihm sind die spezifischen Kriegserfahrungen und Empfindungen des Schriftstellers in bemerkenswert schlichter Weise wiedergegeben. Mehrere von Fefers Verwandten wurden, wie er sich ausdrückt, von der »braunen Pest« ermordet, einige von ihnen lagen auf dem »Gräberfeld« von Babyn Jar. Beim Verfassen des Gedichts war das Kriegsende absehbar und er schien sich darauf zu freuen, in naher Zukunft »unter roten Fahnen« den Sieg über Deutschland zu feiern, »Weingärten zu pflanzen« und selbst zu »[s]eines Glückes Schmied« zu werden. Für Fefer war die Sowjetunion der Garant seines Überlebens im Zweiten Weltkrieg und dennoch sollten seine Träume nicht in Erfüllung gehen. Erst sehr spät begriff Fefer, dass in »Stalins edlem Kelch von Glück« nach Kriegsende einem jiddischsprachigen Schriftsteller sinnbildlich Gift verabreicht wurde. In nur wenigen Jahren hatte sich die Sowjetunion von einer Retterin zu einer Mörderin gewandelt. Zusammen mit mehr als einem Dutzend weiterer jiddischsprachiger Sowjetbürger*innen wurde Fefer zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 12. August 1952 vollstreckt. Da unter den Ermordeten mit Perets Markish, Dovid Hof-shteyn, Leyb Kvitko und Dovid Bergelson vier weitere berühmte jiddischsprachige Schriftsteller waren, wird an dieses spätstalinistische antisemitische Verbrechen als »Nacht der ermordeten Dichter« gedacht.
Jakob Stürmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow. 2020 schloss er seine Promotion im Fach-bereich Geschichte ab. Von 2004 bis 2006 war er ASF-Freiwilliger in der Ukraine, seit 2016 ist er Mitglied im ASF-Vorstand und dort seit 2020 stellvertretender Vorsitzender.