Drei Freiwillige erleben spannende und bewegende Begegnungen mit dem Judentum. Sei es, weil sie in jüdischen Gemeinden arbeiten, Überlebende des
Holocaust betreuen oder zufällig bei einer jüdischen Kollegin zu Hause Schabbat feiern. Eines wird dabei deutlich: Es gibt nicht das eine Judentum.
Wir befinden uns in einem kleinen Apartment auf Manhattans Upper East Side. Es ist Freitagabend. Wir sitzen an einem großen Tisch in einer engen Küche, wir beten, brechen das Brot, singen und trinken Wein, kurz: Wir feiern Schabbat. Wir, das sind mein Mitfreiwilliger Steffen und ich, Lisa. Und wir sitzen in der Küche von Steffens Kollegin Yael, gemeinsam mit zehn ihrer jüdischen Freunde. Wir beide sind das erste Mal in unserem Leben zu einem Schabbat-Dinner eingeladen. Etwas schüchtern haben wir vor einer halben Stunde noch die Wohnung betreten. Yaels Freunde stellten sich zwar nett vor, aber es war doch ein vorsichtiges Abtasten in der Atmosphäre spürbar. Nachdem wir aber nun gemeinsam gesungen, die Hände gewaschen und gebetet haben, wird die Stimmung schon viel gelöster. Dann bittet Yael Steffen und mich, unser schönstes Erlebnis der letzten Woche zu berichten.
Ich erzähle, wie ich am Sonntag mit meinen Großeltern in Deutschland telefoniert habe, und darüber, wie ich in diesem Jahr einen ganz anderen Blick auf meine Herkunft bekommen habe. Daraufhin entspinnt sich ein emotionales Gespräch, auf das so keiner von uns vorbereitet gewesen ist. Steffen und ich erzählen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und warum wir uns entschieden haben, einen Freiwilligendienst zu machen. Unsere Gastgeber erzählen uns von den Lebensgeschichten ihrer Großeltern, die in vielen Fällen als einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt haben. Wir sind die ersten jungen Deutschen, die sie in ihrem Leben treffen. Und sie sind die ersten jüdischen Amerikaner, die uns zur Schabbat-Feier an ihren Küchentisch eingeladen haben. Eine der Freundinnen unserer Gastgeberin gibt unter Tränen zu, dass sie sich eigentlich nie hätte vorstellen können, einmal mit Deutschen an einem Tisch zu sitzen. Und auch wir erzählen, wie viel Scheu wir noch vor wenigen Wochen vor Begegnungen mit Holocaustüberlebenden und auch Juden unseres Alters hatten.
Wie schwierig es auch für uns ist, die Geschichten von Holocaustüberlebenden zu hören und dabei zu wissen, dass die Schuld bei unseren Vorfahren liegt, bei dem Land, das für uns Zuhause bedeutet. Aber wir sind auch dankbar, dass wir an Yaels Tisch sitzen können, gemeinsam, zwei Deutsche und zehn amerikanische Juden und Jüdinnen, Kinder der dritten Generation nach dem Holocaust. Drei Generationen, eine Zeit, die auf einmal so kurz erscheint. Ich glaube, an diesem Abend haben wir alle ein Stückchen Frieden geschlossen mit all den gesprochenen und unausgesprochenen Geschichten, mit denen jeder von uns aufgewachsen ist. Und wir alle haben an diesem Abend Freunde fürs Leben gewonnen.
Von: Lisa Apelt, Jahrgang 1993, war 2013/14 ASF-Freiwillige im American Jewish Committee in New York City.
Nur wenige Menschen kennen einen der schönsten Orte in Wolgograd: die jüdisch-orthodoxe Synagoge. Sie liegt etwas versteckt in der alten Torahschule mit Blick auf die Wolga. Erst vor kurzem renoviert, ist es eines der wenigen Gebäude, das nach der Schlacht von Stalingrad noch übrig blieb. Jetzt beinhaltet es einen Gebetssaal, Büros, eine koschere Küche für die Zubereitung von Fleisch und mehrere Zimmer für Übernachtungsgäste. Als ich vor zwei Jahren Freiwillige in Wolgograd war, hatte ich die Möglichkeit, jeden Freitag in der Synagoge zu arbeiten und die Gemeindemitglieder bei der Vorbereitung für das gemeinsame Schabbat-Essen zu unterstützen.
Schließlich wird zu Beginn des Schabbats jede Hilfe gebraucht, um das Essen für die nächsten drei Mahlzeiten vorzukochen, da es den jüdisch-orthodoxen Gläubigen verboten ist, am Schabbat zu arbeiten. An diesem Feiertag kommen nur die besten Speisen auf den Tisch. Und das bedeutet für mich, Kartoffeln und Eier zu schälen, rote Beete zu raspeln und Zwiebeln zu schneiden. Frauen der Gemeinde bereiten verschiedene Salate, Kompott, ein russisches Frucht-Teegetränk und andere saisonale Leckereien vor. Und Marianne kommt, um die Challah vorzubereiten. Die geflochtenen Weißbrote sind Teil der Zeremonie nach dem Gebet. Während der Vorbereitung werden zwei Tische gedeckt, einer für die Männer und einer für die Frauen. Sobald die Sonne untergeht und sich zehn Männer versammelt haben, beginnt der Schabbat. Es werden Texte aus der Torah und dem Gebetsbuch vorgelesen, gesungen und leise gebetet. Die mir völlig fremde Sprache und der Gesang beeindrucken mich sehr. Nach dem Gebet versammeln sich alle um den Tisch. Rabbi Salman singt den Kiddusch, segnet den Wein und das Brot.
Danach wird allen Anwesenden Wein eingegossen, die Hände werden gewaschen und erst mit einem Stück Challah wird das Schweigen wieder gebrochen. Nach der Zeremonie darf dann geschlemmt werden. Gibt es Fisch- und Fleischgerichte, werden die Teller neu aufgestellt, denn zusammen darf beides nicht auf dem Tisch stehen. So beginnt der Schabbat: Mit viel Lachen, Geschichten und Singen. Kein ruhiger Tag, sondern ein arbeitsloser, freudiger Tag, auf den ich mich immer gefreut habe. Schabbat Schalom!
Von: Ronja Abhalter, Jahrgang 1994, leistete 2011/12 ihren Freiwilligendienst in der Ev.- Luth. Gemeinde Sarepta in Wolgograd.
Das alte jüdische Viertel, die Josefstadt, ist wunderschön hergerichtet. Die vielen Synagogen und der alte jüdische Friedhof sind unbedingt einen Besuch wert. Hier spürt man die Gegenwart der alten Kultur und erfährt viel über die jüdischen Traditionen und die Geschichte des Judentums in Tschechien. Doch wie sieht das jüdische Leben heute in Prag aus?
Man darf es sich keinesfalls so vorstellen, dass die Zeiger der Zeit sich zurückdrehen und man sofort in eine vollkommen andere Kultur, eine andere Lebensweise und Denkart eintaucht, wenn man das jüdische Rathaus, den Angelpunkt der Jüdischen Gemeinde in Prag, betritt. Es hat den Anschein, dass die hochtechnischen Sicherheitstüren, die immer von mindestens zwei Security-Angestellten beaufsichtigt werden, keinen hineinlassen, der nicht dazu befugt ist. Ob nun befugt oder nicht, der moderne Zeitgeist macht natürlich auch vor diesen Türen nicht halt. Selbstverständlich sieht man dort Männer mit Schläfenlöckchen, langen Bärten, schwarzen Hüten und Kippah herumlaufen, und der Altersdurchschnitt ist sehr hoch. Doch wie in der Gesellschaft sind in der Gemeinde sowohl orthodoxe als auch säkulare Auffassungen vertreten.
Meine Freiwilligenarbeit in der Jüdischen Gemeinde Prags war mehr auf den sozialen Aspekt als auf den religiösen Diskurs ausgelegt. Ich besuchte ältere Gemeindemitglieder zu Hause, unterstützte die Mitarbeiter_innen in einem jüdischen Altersheim sowie einem jüdischen Café, lieferte Mittagessen an Gemeindemitglieder aus und dergleichen mehr. Viele Menschen, die ich bei dieser Arbeit kennenlernte und zu denen ich engeren Kontakt pflegte, waren zwar durch ihre Geburt jüdisch. Sie nahmen auch gerne einige Hilfeleistungen der Jüdischen Gemeinde an und hatten in ihrem Leben aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit grausame Dinge erlebt.
Doch sie waren nach eigener Aussage nicht gläubig. Das, was diese Menschen mit der Jüdischen Gemeinde verband, war aus meiner Sicht betrachtet häufig nicht die gemeinsame Religion, sondern die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. So erlebte ich das Judentum in meiner Arbeit zwar als steten Begleiter, tauchte jedoch im Privaten nicht richtig in alte Tradition und Kultur der Religion ein. Doch dafür hatte ich die Spaziergänge durch die Josefstadt, die anmutet wie eine Welt aus vergangenen Zeiten.
Von: Daniel Dober, Jahrgang 1995, leistete 2013/14 seinen Freiwilligendienst in der Jüdischen Gemeinde in Prag.