Mit diesem Banner haben wir uns am 14. September auf der Kundgebung positioniert.
Mit Erschrecken und Sorge nimmt Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zunehmende Vorfälle von offenem Judenhass wahr. Um ein deutliches und notwendiges Zeichen gegen diesen niemals zu akzeptierenden Antisemitismus zu setzen, veranstaltete der Zentralrat der Juden in Deutschland am 14.09.14 eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor. Wir haben zu dieser Kundgebung aufgerufen und mit einer sichtbaren Gruppe vor Ort Solidarität und Zusammengehörigkeit zum Ausdruck gebracht. Eva-Maria Landmesser (Praktikantin im Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) schildert ihre Eindrücke vom Geschehen vor dem Brandenburger Tor.
„Für uns war es ein schwieriger Sommer und gewiss kein Sommermärchen.“ Als der Präsident des Zentralrats der Juden Dieter Graumann die Kundgebung mit diesen Worten eröffnet, stehe ich mitten in der Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor. Meine Arme habe ich weit ausgestreckt, um das ASF-Banner möglichst hoch halten zu können. Um mich herum stehen 80 oder 100 Freund_innen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste: aus der Mitgliedschaft, gerade zurückgekehrte Freiwillige, Unterstützer_innen, eine Gruppe ehemaliger USA-Freiwilliger der 70er/80er Jahre. Dass meine Finger langsam taub werden, habe ich längst vergessen, denn jetzt muss ich über diesen ersten Satz nachdenken. Natürlich erinnere ich mich bei dem Schlagwort „Sommermärchen“ intuitiv an die sportlichen Erfolge, die zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule im vergangenen Juli gefeiert wurden. Das Brandenburger Tor symbolisiert für mich jedoch vielmehr die menschlichen Erfolge, die sich in den letzten Jahrzehnten hier ereignet haben. Es steht für das, was in Deutschland mittlerweile „gut“ läuft. Denkmäler und Mahntafeln in der Umgebung bekunden die deutsche Aufarbeitung des Nationalsozialismus der vergangenen 70 Jahre. Friedliches Zusammenleben und freies Denken werden hier seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr von Stein und Stacheldraht sabotiert.
Doch trotz all der Jahre des Lernens, der Versöhnung und des Aufbaus haben sich nun 8.000 Menschen zu einer Kundgebung versammelt, deren Anlass betroffen macht. 159 antisemitische Straftaten habe die deutsche Gesellschaft zwischen April und Juni erschüttert und „den Zivilisationsbruch der Schoa“, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierte, erneut in unsere Gegenwart gebracht.
„Sag mal, können wir dich mal ablösen? Das Hochhalten muss doch richtig anstrengend sein.“ Leon (20) und Nathalie (21) holen mich aus meinen Gedanken. Sie studieren in Berlin und sind ebenfalls zur Kundgebung gekommen. Ich nicke erleichtert, denn mein Arm schmerzt mittlerweile ganz schön. Gleichzeitig wittere ich die Chance, meine beiden Helfer_innen nach den Regeln der journalistischen Kunst auszufragen. Einst hatte ich folgende Regel gelernt: „Ein aussagekräftiger Titel, zwei Bilder, drei Zitate und der Text schreibt sich von allein.“ Doch diesen Plan hatte ich ohne Leon und Nathalie gemacht. Bei der ersten einfallslosen Frage nach dem Beweggrund ihres Kommens lächelt Leon höflich und entgegnet: „Können wir das nicht später machen? Wir würden gerne zuhören.“ Und ihre Motivation ist ja auch offensichtlich, denn schließlich halten sie jetzt das „Wir stehen auf gegen Antisemitismus“-Banner in der Hand.
Die Situation mit Leon und Nathalie veranschaulicht mir das Zusammenspiel von Wort und Tat bei dem Protest gegen Antisemitismus und Judenhass. Natürlich braucht es klare Worte. „Der Hass der Wenigen wird mächtig durch das Schweigen der Vielen“, mahnt Kardinal Marx während seiner Rede. Das Eintreten für jüdisches Leben in Deutschland lebt jedoch in erster Linie von Taten. Nur ein Handeln, ein gemeinsames „Aufstehen“ kann das richtige Zeichen gegen Antisemitismus und für Vielfalt und Verständigung sein. Ein solches haben die zahlreichen Teilnehmenden der Kundgebung eindrucksvoll gesetzt.