Großbritannien in Zeiten des Brexits: Nicht nur das Hin und Her zum Austritt aus der EU bewegt die Insel. Es steht auch die Frage nach der künftigen Form der Demokratie im Raum.
Zu meinem Geburtstag überreichte eine Freundin mir ein Geschenk mit den Worten: „Jetzt, da ihr ja bald nicht mehr hier sein werdet, braucht ihr die.“ Im Geschenkpapier fand ich eine DVD mit der sechsten Episode der in den 70er Jahren gedrehten Sitcom „Faulty Towers“. In der Folge „The Germans“ besuchen vier deutsche Gäste das an der englischen Riviera gelegene B&B von Sybil und Basil. Und Basil, der seine Angestellten immer wieder verpflichtet „don’t mention the war“, schafft dies selber nicht.
Mein Mann und ich haben keinerlei Ambitionen, England in naher Zukunft zu verlassen. Und doch ist diese Freundin bei weitem nicht die einzige, die annimmt, dass wir darüber nachdenken, auf das europäische Festland zu ziehen. Warum? Weil das genau das ist, was viele hier lebende Europäer anscheinend vorhaben. Zumindest liest man dies immer wieder in Expat-Blogs. Neben Erfahrungen von wachsendem Fremdenhass geht es da um die vielen Ungewissheiten, die manch einem hier lebenden Europäer schlaflose Nächte bereiten. Da sind die Fragen nach Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen, die wirtschaftliche Unsicherheit, unter der das Pfund immer mal wieder einzuknicken droht und die die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht rosig aussehen lässt. Und was wird wohl aus den seit Jahrzehnten steigenden Immobilienwerten?
Als Groβbritannien am Morgen des 24. Juni 2016 aufwachte und das Ergebnis des Referendums erfuhr, schien dies für viele Menschen hier eine Überraschung zu sein. Immer wieder hörte man Sätze wie „hätte ich das gewusst, hätte ich anders gewählt“ oder „wäre ich bloβ wählen gegangen“. Und doch, wenn man sich aus London herausbewegt und in die verarmten Regionen in und um Birmingham, in Wales, in Cornwall und viele andere Teile des Landes fährt, dann wird ganz schnell klar, dass das Ergebnis des EU-Referendums an vielen Orten Ausdruck einer Protestwahl war. Die Ironie der Situation liegt darin, dass es ganz klar genau diese Regionen sein werden, die unter dem EU-Austritt am meisten leiden werden. Statt dies jedoch zu sehen, hängen viele, insbesondere ältere Briten - nicht ungleich dem B&B Besitzer in der Faulty Tower Serie - in der vermeintlich glanzvollen und glorreichen Vergangenheit des British Empire fest, in der natürlich alles besser war und zu der man nun hofft zurückzukehren.
Es ist unumstritten, dass das Ergebnis des 23. Juni 2016 die Insel in zwei Lager geteilt hat. In den Wochen und Monaten nach dem Volksentscheid war es schwierig gewesen, den Menschen zu begegnen, die anders gestimmt hatten als man selbst. Doch nur allzu schnell hatte sich der Alltag wieder eingestellt, ganz nach dem bekannten britischen Motto Keep Calm and Carry On, das die britische Mentalität widerspiegelt, dass es, egal wie schlimm die Situation, irgendwie, mit ein bisschen Improvisation, doch immer weitergehen wird. Auch wenn natürlich auch hier die Zeitungen voll vom Brexit-Theater der britischen Regierung sind, aus genanntem Grund scheint dies die Menschen in ihrem Alltag wenig zu bewegen. Und wenn man sich auf den Regierungswebseiten ein wenig genauer umschaut, wird ganz klar, dass, während auf dem politischen Spielfeld weiter darum gekämpft wird, ob es ein weicher, ein harter oder gar kein Brexit werden wird, sich die verschiedensten Ministerien schon auf den Schlimmstfall vorbereiten. Die Frage, die sich jedoch immer mehr Menschen hier stellen, je länger es keinen klaren Weg nach vorne gibt, ist, ob die Form der Demokratie und Regierung, die hier in Groβbritannien praktiziert werden, weiter so funktionieren werden. Und das fragen sie sich, gleich, ob sie für oder gegen den Brexit sind.
Sabrina Gröschel ist Landesbeauftragte in Großbritannien. Seit dem Jahr 2000 lebt sie, mit Unterbrechungen während der Studienzeit, in England. Sie liebt die englische Küste, die Menschen dort und den guten Tee.