Zum Umgang mit Flüchtlingen

Prälatin von Ulm Gabriele Wulz

„Wir haben Räume – ganz konkret, die genutzt werden können.“, schreibt mir eine Pfarrerin, in deren Gemeinde auf Beschluss des Kirchengemeinderats im Pfarrhaus seit 2014 zwei syrische Familien wohnen. Nach ersten Sondierungen gründet sich bereits im Mai 2014 ein AK Asyl, von Kommune und Kirchengemeinde initiiert.

Ganz unterschiedliche Menschen fühlen sich angesprochen: Gemeindeglieder, Kirchenkritische und solche, die schon lange ausgetreten sind. Talente tauchen auf. Jemand kennt einen Ägypter, der schon lange am Ort wohnt und als „Vermittler“ tätig wird. Die Reinigungskraft des Rathauses und ihr Mann sprechen kurdisch und werden zu Übersetzern für die jesidische Familie. Ein pensionierter Polizist bringt Kindern und Erwachsenen Verkehrsregeln bei.
Die Kirchengemeinde spürt, wie lebendig sie ist und wie sich wunderbarerweise Türe öffnen: zum Sportverein, zum Kindergarten, zur Schule. Im Jugendkreis findet ein 13-Jähriger aus Syrien Anschluss, trifft Gleichaltrige und fasst Vertrauen. Im Kindergarten lernen die kleineren Kinder unkompliziert deutsch. Die türkischstämmigen Eltern bekommen auf einmal eine wichtige Mittlerfunktion.
Das Pfarrhaus hat sich verändert. „Gut“, schreibt mir die Pfarrerin,  „dass wieder Leben drin ist. Auch wenn es nun eindeutig anders riecht, viele Fahrräder und Kinderwagen im Flur herumstehen und sich die Schuhe vor der Wohnungstür stapeln. Auch wenn der Abfluss schon einmal verstopft war, weil die Frauen das Öl einfach immer in den Ausguss gegossen haben.“

In einer anderen Kirchengemeinde auf der Schwäbischen Alb hat sich ein aktiver überkonfessioneller Freundeskreis Asyl mit rund 100 Menschen gebildet. Für eine doch sehr überschaubare, eher kleine Gemeinde eine beachtliche Zahl von Menschen, die sich einsetzen und über Patenschaften teilweise schon freundschaftliche Beziehungen zu „ihren“ Flüchtlingen geknüpft haben. Im Gottesdienst nehmen regelmäßig 10 bis 15 Afrikaner_innen teil. Dadurch verändert sich der Gottesdienst: Begrüßung und Schriftlesung werden auch auf Englisch und Französisch gehalten. Die Predigten – manchmal holprig, zuweilen mühsam – simultan übersetzt. Flüchtlinge singen im Chor, erzählen ihre Geschichte oder übernehmen die Lesung.
Ich staune, als ich im Gottesdienst eine fast heitere Stimmung erlebe. Das ist in dieser Gegend nicht unbedingt zu erwarten.  Aber offensichtlich beflügelt die Erfahrung, dass man mit einer neuen, veränderten Situation zurechtkommt.  Das Gefühl, Verantwortung zu haben und diese auch gestalten zu können, stärkt die Gemeinde in ihrem Selbstbild. „Wir sind gefragt“, sagt mir der Pfarrer, „wir sind mitten drin. Wir merken, dass wir gebraucht werden.“ Nachdenklich fügt die Pfarrerin an: „In der schweren Zeit bewährt sich vielleicht das Gewicht der biblischen und kirchlichen Tradition gegenüber denen, die nur auf ihr Gewissen oder ihre Ressentiments angewiesen sind. Manche Gemeinde spürt, dass sie jetzt existentiell gefordert ist und beginnt neu zu ahnen, wofür sie gemacht ist.“

So soll es sein, denke ich. 

 

Ein Bericht von Gabriele Wulz

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