Der Freiwilligendienst in Israel als Dienst am Frieden

Constantin Ganß War für ein Jahr Freiwilliger in Israel. Er arbeitete in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und besuchte Holocaustüberlebende wie Sonya Blumenfeld. Foto: Helena Schätzle

Ein Debattenbeitrag von Jan Brezger, dem neuen Referent für Freiwilligenarbeit in Israel

Wer zum ersten Mal von der Möglichkeit erfährt, mit ASF für die Dauer eines Jahres einen Friedensdienst in Israel zu absolvieren, der oder die mag sich vielleicht vor allem ausmalen, wie er oder sie vor Ort auf eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes hinwirkt. Abhängig von der jeweiligen politischen Überzeugung und dem eigenen Charakter mag dieses Bild einer neutralen und vermittelnden Mediatorin gleichen oder aber die Konturen einer energischen Anwältin annehmen, die eindeutig Partei ergreift. Andere wiederum mögen sich in der Rolle einer Richterin sehen, die sich zunächst einen Überblick verschafft und anschließend das (moralische) Urteil fällt.

Obwohl sich die imaginierten Rollen unterscheiden, liegt jeder dieser Projektionen dieselbe Verengung des Fokus zugrunde. Ein Friedensdienst in Israel, so die Annahme, beziehe sich ausschließlich auf den arabisch-israelischen Konflikt. Dieser enge Fokus versäumt es jedoch, sowohl die Weite als auch die Schärfentiefe eines Friedensdienstes in Israel abzubilden. Und die Perspektiven der Mediatorin, Anwältin und Richterin erwecken den Eindruck, die Friedensdienstleistende sei eine außenstehende Person, die lediglich in Erscheinung tritt, um Frieden zwischen anderen Parteien zu stiften: Als ginge es nicht auch um sie.

Vor dem Hintergrund der Shoah wird allerdings deutlich, dass ein Friedensdienst in Israel genau bei der Person beginnt, die solch einen Friedensdienst leistet. An die Stelle heroischer Projektionen treten Zweifel und Erschütterung. Wie lässt sich verstehen, dass dieses Verbrechen möglich war? Wie komme ich damit zurecht, dass ich in jenem Land aufgewachsen bin, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, alle europäischen Jüdinnen und Juden zu vernichten und dieses Ziel mit aller Kraft verfolgte? In welchen Erscheinungsformen wirkt Antisemitismus heutzutage fort und was kann ich gegen Judenfeindschaft tun? Welche Vorurteile und (antisemitischen) Ressentiments trage ich – gegen meinen Willen – in mir?

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen im Rahmen eines Freiwilligendienstes ist nicht nur ein Zeichen der Sühne und Übernahme von Verantwortung, sondern auch ein Dienst für den Frieden. Wer den eigenen Vorurteilen und Ressentiments ehrlich ins Gesicht blickt, um sie abzubauen, trägt zu einer friedlicheren Welt bei. Und wer in diesem Geiste anderen Menschen begegnet und Brücken baut beziehungsweise bestehende Brücken erhält und verstärkt, unterstützt einen nachhaltigen Frieden.

Der Friedensdienst beginnt bei der Person, die solch einen Friedensdienst leistet – aber er reicht weit darüber hinaus und erreicht jene Individuen und Gesellschaften, die unter den nationalsozialistischen Verbrechen gelitten haben. Durch die konkrete Begegnung bleibt es nicht bei einem bloßen Training jener Eigenschaften, die für einen gerechten Frieden erforderlich sind. In der Begegnung wird dieser Friede lebendig.

Diese Perspektive auf einen Friedensdienst in Israel schließt nicht aus, dass man sich mit Blick auf den israelisch-arabischen Konflikt aktiv für eine friedliche Lösung einsetzt. Der primäre Fokus eines Freiwilligendienstes als Friedensdienst in Israel liegt jedoch auf der Auseinandersetzung mit der Shoah und deren Folgen in der Begegnung mit Israelis und der israelischen Gesellschaft.

Jan Brezger war 2003/2004 als ASF-Freiwilliger in Tel Aviv. Anschließend studierte er Politikwissenschaft in Berlin und Baltimore. Seit März 2018 ist er als ASF-Referent für Freiwilligenarbeit in Israel und Großbritannien sowie für die Vorbereitungs- und Rückkehrseminare zuständig.

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