Willst Du, dass ich Dir helfe?

Zwanzig Jahre nach Ende seines Freiwilligendienstes besucht Moritz Denis seine Einsatzstelle in den Vereinigten Staaten. Als er zurück kommt, schreibt er eine E-Mail an seine Patinnen und Paten, die damals seinen Freiwilligendienst unterstützt haben.

Foto: privat

Meine neunjährige Tochter rast auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks in Richtung eines Felds voller Tomatensträucher hin und her. Dort soll sie heute mitarbeiten und wehrt schweißgebadet die kleinen Käfer ab, die versuchen, in Ihre Nase zu krabbeln. Genau wie ich vor zwanzig Jahren auf diesem Feld stand, Tomaten pflückte und Käfer abwehrte. Schnell in den mit Fliegengittern geschützten Pavillon! Dort sortiert meine Tochter mit einer Mitarbeiterin, deren Sprache sie nicht spricht, die Tomaten. Sie macht im Kleinen die Erfahrung, die ich 1998 als Freiwilliger einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit Menschen mit Behinderungen in Innisfree, Virginia durchlebt habe: Begegnung.

Später treffen wir uns alle beim Mittagessen in der großen Halle und erzählen uns von dem Erlebten. Die Stimmung dort ist wundervoll. Immer wieder kommen bekannte Gesichter an unseren Tisch, man umarmt sich, teilt einen Scherz. Es ist, als sei man nicht lang weg gewesen, die ländlichen Berge geben dem Dorf eine gelassene Ruhe. Ich knüpfe an alte Freundschaften an und schließe schnell neue.

Meinen Kindern konnte ich einen besonderen Ort zeigen. Ich konnte Ihnen zeigen, wie das Leben zwischen den Freiwilligen und Mitarbeiter*innen in Innisfree funktioniert. Meine Erinnerungen an die Erlebnisse in diesem ASF-Projekt waren nie ganz verschwunden. 

Wieder zurück in Deutschland, fällt mir die Adressliste meiner Unterstützer*innen wieder in die Hände. Nach zwei Jahrzehnten möchte ich mich nochmal bei ihnen bedanken, dass sie mir diese Erfahrungen und Begegnung möglich gemacht haben. Einige aktuelle Adressen muss ich neu recherchieren oder erfahre ich nur durch Hinweise über mehrere Ecken. Durch Zufall finde ich sogar einen alten Freund in Spanien wieder! Und dank des Einsatzes des neuen Schulrektors erreicht mich ein Brief aus Hamburg, auf dem ich die Schrift meines Deutschlehrers erkenne und der mir Bilder unserer alten Klasse beilegt. Meine alte Schule bekommt neue Flyer für den Friedensdienst geschickt.

Ich hoffe, dass sich die jetzigen Schüler*innen meiner damaligen Schule und bald auch meine eigenen Kinder einen Friedensdienst vorstellen können. Der Freiwilligendienst ist ein Dienst an der Gesellschaft und kann die Wurzel für ein lebenslang gefestigtes Engagement für Frieden und Aussöhnung sein. Das junge Erwachsenenalter ist mit seiner Risikobereitschaft wichtig für eine Gesellschaft. Und was ist riskanter als seine Vorurteile zu konfrontieren? Überzeugungen, auch die eigenen Dogmen an ihre Grenzen zu bringen?

In Innisfree steht mein zwölfjähriger Sohn in der Bäckerei, in der ich vor zwanzig Jahren völlig ohne Bedenken die Verantwortung über den gesamten Arbeitsprozess übernommen habe. Er gliedert sich in die Arbeit ein als wäre er selbst im Freiwilligendienst: “Do you want me to help you?”, fragt er in gut verständlichem Englisch und schneidet mit dem Rasiermesser die Verzierungen ins Brot – meine damalige Lieblingstätigkeit.

Moritz Denis war 1998/1999 Freiwilliger mit Aktion Sühnezeichen in Innisfree Village, USA. Heute arbeitet er als Filmmusikkomponist in Berlin.

Sie möchten  selber eine Patenschaft übernehmen? Wir freuen uns auf  Sie. Ihre Ansprechpartnerin ist: Anna Rosa Böck, 030/28395 228, boeck@asf-ev.de


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