Fluchtort Deutschland – politisch Verfolgte genießen Asylrecht!?

Einschränkungen des Asylrechtes seit 1948

Deutschland gilt als eines der traditionellen Asylländer in Europa. Und dies aus gutem Grund: Die Bundesrepublik hatte sich aus der erschütternden Erfahrung des Nationalsozialismus heraus ein Recht auf politisches Asyl in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes geschrieben. »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« – dieses damals noch unbeschränkte Grundrecht, knapp und prägnant in Artikel 16 formuliert, war die Antwort der jungen Republik auf das Versagen der internationalen Gemeinschaft während der Nazidiktatur. Viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn es großzügige Aufnahmezusagen beispielsweise 1938 auf der internationalen Konferenz im schweizerischen Évian gegeben hätte. Damals zeigten sich Staaten unverhohlen antisemitisch oder befürchteten den Import von »Rassenproblemen«, ganz zur entsetzlichen Genugtuung von Nazi-Deutschland.

Fast alle Länder behielten damals trotz Kenntnis der Verfolgung hunderttausender Jüdinnen und Juden in Deutschland und Österreich ihre restriktiven Einreisebedingungen und verweigerten sich der zusätzlichen Aufnahme Schutz suchender NS-Verfolgter. Viele Staaten schlossen ihre Grenzen, es kam zu Einreisestopps und Zurückweisungen. Maßnahmen, die einem auch heute bekannt vorkommen. Das wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes damals ändern, ein individueller Anspruch von Verfassungsrang sollte den Schutz von Verfolgten garantieren. Seither genießt jeder ausländische Mensch zumindest dem Grunde nach dieses wertvolle Recht auf Prüfung des Asylgesuchs gegenüber dem deutschen Staat.

GENFER FLÜCHTLINGSKONVENTION LEGT GRUNDSTEIN FÜR NON-REFOULEMENT-GEBOT

Ebenfalls unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs mit seinen 30 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen – und nur hier verdient die Geschichte den Begriff »Europäische Flüchtlingskrise« – entstand die Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen, die in diesem Jahr ihr 70-jähriges Bestehen feiert. Die UNHCR-Konvention legte den inzwischen ins Völkergewohnheitsrecht übergegangenen Grund stein für das Non-Refoulement-Gebot: Keiner darf in ein Land abgeschoben werden, in dem Folter, unmenschliche Behandlung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Bundesrepublik gehörte 1951 zu den sechs Erstunterzeichnerstaaten. Die DDR hatte die Konvention nicht ratifiziert.

Was wurde aus dem Grund- und Menschenrecht bis heute? In den ersten Dekaden der Nachkriegszeit wurde der Artikel 16 des Grundgesetzes bis auf die große Flüchtlingsaufnahme während des ungarischen Volksaufstands nur wenig in Anspruch genommen. Die Asylgesuche in Deutschland blieben bis in die 1970er Jahre auf einem relativ niedrigen Niveau, bis sich in den 1980er Jahren die Zahl der Antragstellungen aus den verschiedensten Ländern erhöhte. Mit realpolitischen Gegebenheiten konfrontiert schwand der Rückhalt des Grundrechts in Politik und Bevölkerung: 54 Prozent der Deutschen waren damals mehr oder weniger davon überzeugt, dass »die Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem schon bedrohlichen Maß überfremdet« sei, so verlautbarte es die ZEIT 1980. Der damalige Innenminister Gerhard Baum (FDP) sprach von einer »Belastung, die das Grundgesetz uns aufbürdet«. Einige Verschärfungen des Asylrechts wurden bereits damals eingeführt, etwa ein fünfjähriges Arbeitsverbot für Antragstellende und die sogenannte Residenzpflicht. Diese verpflichtet Asylbewerbende zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort und dazu, sich nur innerhalb eines bestimmten Bezirks oder Landkreises zu bewegen – rechtsstaatlich und menschenrechtlich höchst bedenklich. Unselige Nachahmung hat diese Restriktion seit 2016 auf den griechischen Inseln gefunden, wer Asyl beantragt, darf nicht mehr auf das Festland reisen.

RASSISTISCHE ÜBERGRIFFE UND GEWALT IN DEN 1990ER JAHREN

Mit dem zerfallenden Jugoslawien erreichte die Zahl von Asylantragstellenden 1992 ihren vorläufigen Höhepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik, über 400.000, vor allem bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge suchten Schutz in Deutschland, hinzu kam eine hohe Zahl von Aussiedler*innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

Es entfachte sich wieder eine scharf geführte gesellschaftliche Debatte, die nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen hier bereits langjährig lebende Menschen mit Einwanderungsgeschichte allgemein geführt wurde und durch Medien und Politik aufgegriffen, kanalisiert und multipliziert wurde. Angeheizt von politischen Statements und einer reißerischen Berichterstattung kam es zu rassistischen Übergriffen und gewalttätigen Ausschreitungen aus der Bevölkerung in Rostock, Mölln, Hoyerswerda und Solingen. Übrigens hat sich zu dieser Zeit die rechte Szene um das spätere NSU-Trio radikalisiert. Die Politik reagierte mit grundlegenden Änderungen des Flüchtlings- und Asylrechts, als seien die Geflüchteten verantwortlich, ließ aber Aktivitäten gegen Rassismus und für ein gedeihliches Miteinander vermissen.

Man begriff sich zu dieser Zeit nicht als ein Einwanderungsland, sondern der sogenannte »Missbrauch« des Asylrechts und die sogenannte »Einwanderung in die Sozialsysteme« und in den deutschen Arbeitsmarkt waren die bestimmenden Parameter der deutschen Flüchtlings- und Migrationspolitik. Das Resultat: Abschreckung und massive Rechtseinschränkungen waren die Leitmotive des Asylkompromisses, den die christlich-liberale Koalition 1993 mit der SPD beschlossen hatte. Der Kompromiss der verfassungsändernden Mehrheit sah eine Vielzahl von Einschränkungen des Asylrechts vor, die größtenteils bis heute gelten. Das unbeschränkte Grundrecht auf Asyl in Art. 16 GG wurde in den Art. 16 a GG quasi als unbedeutender Einschub versetzt und mit vier unübersichtlich langen Absätzen versehen, die allesamt regeln, wer sich fortan nicht mehr auf das Asylrecht berufen darf und damit grundlegend eingeschränkt:

Wer beispielsweise über einen »sicheren Drittstaat« einreist oder aus einem »sicheren Herkunftsland« kommt, hat wenig Chance auf ein erfolgreiches Asylverfahren. Für viele Kritiker*innen bedeutete dies die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Ebenso wurden der Rechtsschutz im Asylverfahren verkürzt und die Lebensbedingungen für Asylsuchende in Deutschland verschlechtert: Die Sozial- und Gesundheitsleistungen wurden im Jahr 1993 durch das Asylbewerberleistungsgesetz erheblich eingeschränkt, das Sachleistungsprinzip in Form von Essenspaketen und Kleiderkammern eingeführt.

DEUTSCHLAND VERLAGERT VERANTWORTUNG FÜR FLÜCHTLINGSSCHUTZ AUF ANRAINER- UND TRANSITSTAATEN

Vor allem die deutsche Drittstaatenregelung hat bis heute weitreichende Folgen: Die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz verlagerte Deutschland auf die Anrainer- und Transitstaaten. Dieses Prinzip wurde auf die gesamte EU übertragen in Gestalt der Dublin-Verordnung, die dazu führt, dass im Grunde sämtliche Asylverfahren in den Außengrenzstaaten geführt werden, weil sie die Ersteinreisestaaten sind. Gleichzeitig wurde auch das Visumrecht erheblich eingeschränkt. Während viele politisch Verfolgte noch bis in die 1980er Jahre visumfrei selbst aus den Verfolgerstaaten nach Deutschland einreisen konnten, ist es heute nahezu unmöglich, auf legalem Wege Deutschland oder ein anderes EU-Land zum Zweck der Asylantragstellung zu erreichen. Die europäische Harmonisierung des Asylrechts hat im Flüchtlingsrecht aber durchaus einige Verbesserungen gebracht, so zum Beispiel die Anerkennung nicht-staatlicher Verfolgung, wenn der Staat nicht in der Lage ist, zu schützen, oder die geschlechts- oder religionsspezifische Verfolgung.

RASSISMUS GEGEN GEFLÜCHTETE IN DEN STRASSEN UND PARLAMENTEN

Durch die Kriege in Syrien, Irak und Afghanistan kam es von 2013 bis 2017 wieder zu einem größeren Anstieg von Asylantragszahlen in der EU. 2015 waren viele Kommunen und Länder mit der Aufnahme überfordert. Und wieder bestimmten Wahlen und Realpolitik das Geschehen. AfD und Pegida gründeten und radikalisierten sich, machten eine schon längst vergangen geglaubte rassistische Rhetorik wieder salonfähig. Wieder wurden Geflüchtete, ihre Unterkünfte ebenso wie Menschen wegen ihres vermeintlichen Andersseins oder ihrer Haltung angegriffen, die Morde in Halle, Hanau und Wolfhagen sind traurige Höhepunkte.

Es ist eigentlich rational kaum verständlich, welch doch relativ geringe Zahl an Asylsuchenden in Deutschland und anderen EU-Staaten ankommen müssen, um die latent vorhandene rassistische und menschenfeindliche Stimmung an die Oberfläche zu befördern und Ressentiments in der breiten Mitte der Gesellschaft salonfähig zu machen. Ein Blick auf die globale Flüchtlingsbevölkerung zeigt: Die Wahrnehmung ist völlig verzerrt, die EU ist weltweit keinesfalls Hauptaufnahmeregion. Ein aktueller Zahlenvergleich: Im Libanon befinden sich zurzeit circa 1,5 Millionen Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet sind. Das ist gemessen an der Bevölkerungszahl von nur 4,5 Millionen enorm. Hochgerechnet auf Deutschland würde dies eine Flüchtlingsaufnahme von über 20 Millionen Menschen bedeuten.

ASYLVERSCHÄRFUNGEN AUF EU- EBENE… UND EIN KLEINER HOFFNUNGSSCHIMMER

Und wieder wurde in Deutschland und auf EU-Ebene das Asylrecht verschärft. Die mit heißer Nadel gestrickten Asylverschärfungspakete wurden nach 2016 verabschiedet, um vermeintliche Handlungsfähigkeit zu zeigen, während auf EU-Ebene die Reform 2018 scheiterte. Zu weit weg war man von einem wertebasierten Konsens und ist es bis heute. Das Problem liegt auch nicht in etwa lückenhaften Gesetzen, sondern es scheitert an deren Umsetzung, mehr noch: an der Grundüberzeugung zum Flüchtlingsschutz. Worauf man sich aber einigen kann: auf die bewährte Abschottungs- und Rückführungspolitik, auf Kooperation mit angeblich sicheren Drittstaaten außerhalb der EU wie der Türkei. Der Protection-elsewhere-Ansatz, das schon im 20. Jahrhundert praktizierte Sankt-Florians-Prinzip kommt zur Anwendung, wenn es ernst wird. Flüchtlingsschutz gerne, aber nicht bei uns.

Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer: Während in anderen EU-Ländern noch die Erzählung vorherrscht, es können keine weiteren Geflüchteten mehr aufgenommen werden, ist in Deutschland bei Bundesländern, Kommunen und der starken und lauten Zivilgesellschaft mittlerweile wieder eine andere Stimmung. EU und Bundesregierung werden aufgefordert, Menschen aus Seenotrettung, aus griechischen und bosnischen Flüchtlingslagern und aus anderen Drittstaaten aufzunehmen. Dem ist rundweg zuzustimmen: Legale Fluchtwege in Form von Resettlement und humanitärer Aufnahme sind dringend auszubauen.

Doch wie die Geschichte immer wieder zeigt, muss daneben auch der Individualrechtsansatz stark bleiben: Aufnahmeprogramme unterliegen, wie schon Évian zeigte, der Schwankung der politischen Führung. Die USA sind dafür ein beredtes Beispiel: Barack Obama nahm in seinem letzten Amtsjahr 85.000 Geflüchtete auf, Donald Trump reduzierte drastisch auf zuletzt 18.000. Menschen- und Grundrechte wirken demgegenüber dauerhafter, müssen jedoch mit Leben gefüllt werden. Ein zentrales Thema ist bis heute noch nicht gelöst: Wie gelange ich zur Asylantragstellung in den Hoheitsbereich eines Staates der Genfer Konvention, ohne mich in Lebensgefahr zu begeben und meine Würde zu bedrohen? Vielleicht bringt dieses Jahrhundert mit völlig neuen Konzepten darauf eine Antwort.

Katharina Stamm ist juristische Referentin für Europäische Migrationspolitik im Zentrum Migration und Soziales der Diakonie Deutschland in Berlin mit Schwerpunkt Europäisches Asylsystem und EU-Freizügigkeitsrecht. Von 1993 bis 1995 arbeitete sie als Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel in dem jüdisch-arabischen Verständigungsprojekt Open House/Habeit haPatuach/IlBethilmaftuh. 

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