»Viele sehen Geflüchtete nur als Menschen an, die Hilfe brauchen«

Empowerment von Geflüchteten: Adam Bahar hat im Sudan Wirtschaft studiert und als Journalist gearbeitet. Wegen seines politischen Engagements musste er fliehen, seit 2012 lebt er in Deutschland. Beim Verein XENION, der geflüchteten Menschen psychotherapeutische Hilfe, soziale Beratung und Begleitung bietet, gibt er Workshops und berät Geflüchtete.

Ute Brenner: Sie wurden im Sudan politisch verfolgt, was haben Sie dort gemacht?

Adam Bahar: Ich war politisch aktiv, auch als Journalist, und hatte kritische Artikel geschrieben über die Situation im Land. Am Ende musste ich wegen dieser politischen Arbeit das Land verlassen. Meine Flucht war eine lange schwierige Reise. Es dauerte ein Jahr, bis ich in Deutschland war.

Beim Verein XENION arbeiten Sie als Empowerment- Trainer. Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Die Menschen mit Fluchterfahrung, die in Deutschland leben, sind oft ausgeschlossen. Sie haben wenig Kontakte, leben isoliert, ihre Situation ist schwierig. Ich habe das selbst auch erlebt. Wir bei XENION glauben, dass die Menschen neben der psychosozialen und therapeutischen Begleitung noch andere Unterstützung benötigen. Ihre Isolation muss durchbrochen werden, sie brauchen andere Aktivitäten und eine Zukunftsperspektive in diesem Land. Dafür sind die Empowerment- Angebote ganz wichtig. Es geht uns darum, dass die Geflüchteten zusammenkommen und sich miteinander vernetzen, damit sie über ihre Probleme sprechen können. Gleichzeitig ist meine Empowerment-Arbeit mit der Arbeit von Therapeut*innen verknüpft. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass die Menschen ihre eigene Powerquelle finden und sich sagen ›ich bin wertvoll, ich habe etwas zu bieten‹ oder ›meine Sprache ist wert voll‹. Wir machen zum Beispiel viel Biografie- Arbeit. Ich leite Workshops und gebe Seminare für Gruppen von etwa zehn bis zwölf Menschen. Manchmal arbeiten wir auch in kleinen Gruppen, weil Teilnehmende einen sicheren Raum benötigen. Dabei geht es zum Beispiel um Erfahrungen mit Alltagsrassismus.

Wie ist die Situation für Geflüchtete in Deutschland heute? Welche Rückmeldungen bekommen Sie und welche Erfahrungen machen Sie dazu in Ihrer Arbeit?

Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage verschärft, gerade jüngere Menschen haben zusätzliche Schwierigkeiten. Die Geflüchteten leben in Heimen und die Möglichkeit, sich mit anderen zu treffen, haben sie nicht mehr. Junge Leute vermissen ihren Sport oder die Schule. Auch für uns ist es in dieser Situation schwierig, die Menschen zu unterstützen; viele Angebote, vor allem für Gruppen, sind aktuell schwer umzusetzen. Dennoch versuchen wir, wo es nur geht, Beratungen anzubieten und zu ermöglichen.

Wo und wie funktioniert es, dass sich Menschen mit und ohne Flucht- und Zuwanderungsgeschichte gleichberechtigt begegnen?

Bestimmt gibt es solche Orte, aber sie sind schwierig zu finden, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der wir alle nicht frei von Vorurteilen sind. Viele sehen Geflüchtete nur als Menschen an, die Hilfe brauchen. Mit dieser Perspektive gibt es keine Augenhöhe mehr. Das liegt auch an der Asylpolitik, die Geflüchtete zu hilfsbedürftigen Menschen macht. Das möchten wir gern bei XENION durchbrechen, indem wir mit den Menschen gemeinsam ihre Stärken herausarbeiten, sie empowern und ihnen zeigen, dass sie auch selbst etwas machen können. Sie sollen nicht nur darauf warten, ob sie Asyl bekommen. Sie können eine eigene Zukunftsvision entwickeln und diese selbst gestalten.

Wie können wir erreichen, dass wir gemeinsam die Gesellschaft gestalten, in der wir zusammenleben?

Zuerst muss die deutsche Gesellschaft verstehen, dass Migration Realität ist. Es gibt diese Menschen in Deutschland, sie kommen hierher und sie leben hier. Der zweite Schritt ist miteinander zu reden, sich kennenzulernen. Den dritten großen Schritt muss die Politik machen. Die Asylpolitik sorgt bisher dafür, dass die Menschen keine Möglichkeit haben, sich als Teil der Gesellschaft zu sehen, und umgekehrt auch die Gesellschaft diese Menschen nicht als Teil der Gesellschaft sieht. Die Gesellschaft sollte ihre Türen öffnen, sodass die Geflüchteten sich nicht mehr ausgegrenzt fühlen.

Ute Brenner, Historikerin und Redakteurin, ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. 

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