Keine sicheren Orte – Angriffe auf Geflüchtete

Rassistisch, antisemitisch und rechtsextrem motivierte Attentate haben in den vergangenen 24 Monaten dreizehn Todesopfer in Istha bei Kassel, in Halle (Saale) und Hanau gefordert. Hunderte von Menschen wurden im gleichen Zeitraum bei rechten Angriffen verletzt; dutzende Imbissbetreiber*innen, Bar-, Restaurant- und Ladenbesitzer* innen haben durch antisemitisch, rassistisch und rechtsextrem motivierte Brandanschläge ihre Existenzgrundlage verloren.

Rassismus und Antisemitismus sind dabei die zentralen Motive der Täter*innen. Geflüchtete gehören zu denjenigen, die besonders gefährdet sind, beleidigt, bedroht und angegriffen zu werden. In den nachfolgenden Beispielen aus dem Jahr 2020 wird deutlich, dass es keine sicheren Orte für Geflüchtete gibt:

Am 19. Februar 2020 verüben unbekannte Täter*innen einen Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Soest (Nordrhein-Westfalen). Dabei wird ein 43-jähriger Bewohner leicht verletzt.

In der Nacht vom 1. Mai 2020 werden in Halle (Saale) in Sachsen- Anhalt zwei 21-jährige Geflüchtete aus Syrien von drei Unbekannten umringt, die sie dann rassistisch und homophob beleidigen und angreifen. Einer der Betroffenen überlebt nur durch glückliche Umstände – mehrfache Operationen und intensivmedizinische Betreuung sind nötig.

Ein geflüchteter junger Mann aus Gambia ist am 13. Mai 2020 auf dem Weg zu seiner Arbeitsstätte in Wittstock/Dosse in Brandenburg, als ihm zwei Rechte mit ihrem Auto den Weg abschneiden. Die Männer steigen aus, beleidigen den Auszubildenden rassistisch und schlagen dann auf ihn ein. Dabei kommt ein dritter Rechter hinzu, der den Betroffenen mit einem Baseballschläger verletzt.

Im Stadtpark von Guben (Brandenburg) umzingelt am 16. Mai 2020, eine Gruppe von bis zu 20 rechten Jugendlichen vier teils noch minderjährige Geflüchtete nahe ihrer Unterkunft und beschimpft sie rassistisch. Zwei der Angegriffenen können fliehen. Die Angreifer* innen schlagen und treten auf die zwei verbliebenen Geflüchteten ein. Diese müssen im Krankenhaus behandelt werden.

Am 16. Juli 2020 wird ein Geflüchteter in der 7.000-Einwohnerstadt Esens in Niedersachsen von einem Neonazi-Nachbarn durch einen Bauchschuss lebensgefährlich verletzt.

Im März 2021 hatte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke mitgeteilt, dass im Jahr 2020 mehr als 1.600 strafrechtlich relevante Vorfälle gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte registriert wurden – darunter waren auch etwas mehr als 200 Gewalttaten. Mit anderen Worten: Alle zwei Tage ereignet sich irgendwo in Deutschland ein gewalttätiger, politisch rechts motivierter Angriff auf Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung, Folter und Krieg suchen. Dass die Zahlen der Behörden dabei keineswegs das reale Ausmaß rechter Gewalt gegen Geflüchtete abbilden, sondern allenfalls einen Ausschnitt der Realität, zeigt sich am Beispiel des lebensgefährlichen Angriffs auf die beiden jungen schwulen Männer aus Syrien in Halle (Saale) am 1. Mai 2020. Nachdem die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) monatelang die Ermittlungen verschleppt hatte, ist der Angriff jetzt lediglich als versuchter Totschlag angeklagt, obwohl die Tat aus niederen Beweggründen – nämlich Rassismus und Homophobie – begangen wurde. Schon unmittelbar nach der Tat hatte die Polizei in einer Pressemitteilung zu dem Angriff das rassistische Motiv nicht genannt, und auch die Anklage geht nicht von Rassismus als Motiv der Täter aus. Entsprechend hat auch das Landeskriminalamt Sachsen- Anhalt, das alle politisch rechts motivierten Gewalttaten an das Bundeskriminalamt melden soll, diesen Angriff nicht weitergeleitet, sodass er keinen Eingang in die Statistik für 2020 gefunden hat.

Dass es sich hier keineswegs um einen Einzelfall handelt, zeigt ein Vergleich zwischen dem unabhängigen Monitoring zum Ausmaß rechter Gewalt durch die Opferberatungsstellen und den Statistiken der Ermittlungsbehörden.

Allein im Jahr 2019 ereigneten sich laut Bundesinnenministerium mindestens 758 politisch rechts motivierte Gewalttaten im Themenfeld »Hasskriminalität«. Tatmotive für zwei Drittel der in diesem Themenfeld von den Strafverfolgungsbehörden registrierten Gewalttaten waren laut Bundeskriminalamt »Rassismus« und »Fremdenfeindlichkeit «. Die im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e. V.) zusammengeschlossenen Beratungsstellen gehen von einem wesentlich höheren Ausmaß rassistisch motivierter Gewalt aus: Allein in den acht ostdeutschen Bundesländern sowie Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Holstein haben die unabhängigen Beratungsstellen 2019 insgesamt 1.347 politisch rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalttaten mit 1.982 direkt davon Betroffenen registriert. Davon waren 841 Angriffe rassistisch motiviert.

Der »Deutsche Viktimisierungssurvey 2017«, für den das Kriminalistische Institut des BKA bei einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage mehr als 30.000 Menschen ab 16 Jahren nach ihren Opfererfahrungen befragt hatte, verweist ebenfalls auf ein höheres Ausmaß rassistisch motivierter Gewalttaten als die in der Statistik zu Politisch motivierter Kriminalität (PMK) im Themenfeld »Hasskriminalität« für 2019 ausgewiesenen knapp zwei Gewalttaten täglich. Die BKA-Studie 2017 geht davon aus, dass sich bundesweit 22,9 Fälle von vorurteilsgeleiteten Körperverletzungen aus dem Themenfeld »Hasskriminalität « pro 1.000 Einwohner* innen ereignen. Eine Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2017 zu »Erfahrung und Folgen von Vorurteilskriminalität « kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl vorurteilsmotivierter Straftaten von den Opfern nicht angezeigt wird – die mittlere Anzeigequote liege demnach bei 29,3 Prozent.

Schlussfolgerungen über die Staatsbürgerschaft oder den jeweiligen Aufenthaltstitel der Angegriffenen lassen sich aus den PMKStatistiken und den Themenfeldern »Rassismus« oder »Ausländerfeindlichkeit « kaum ziehen. Anhand der regelmäßigen parlamentarischen Anfragen zu flüchtlingsfeindlichen Gewalttaten sowie der BKA-Lagebilder zu flüchtlingsfeindlichen Straftaten und der Vorfalls- Chroniken der Opferberatungsstellen wird aber deutlich, dass Geflüchtete eine Hauptbetroffenengruppe rassistischer Gewalt sind. Im Beratungsalltag der Opferberatungsstellen zeigt sich, dass aus rassistischen Motiven angegriffene Geflüchtete bei einfachen Körperverletzungsdelikten häufig auf eine Strafanzeige verzichten, unter anderem weil sie aus Unkenntnis der Rechtslage negative Auswirkungen auf ihre Asylverfahren oder ihren Aufenthaltsstatus befürchten. Diese Angst haben insbesondere auch Menschen, die lediglich im Status der Duldung in Deutschland leben und jederzeit mit einer Abschiebung in ihre Herkunftsländer oder in vermeintliche »Drittstaaten « rechnen müssen. Im schlimmsten Fall werden ihnen durch die Abschiebung grundlegende Rechte komplett genommen, etwa das Recht, sich als Opfer einer Gewalttat als Nebenkläger*in am Strafverfahren zu beteiligen, in einer Zeugenaussage zur konkreten Schilderung der Tatumstände und der Tatmotivation beizutragen und Schadenersatz zu verlangen. Mit einer Abschiebung werden die Betroffenen all dieser Rechte beraubt. Es findet ein Rechtsbruch statt. Die Forderung nach einem humanitären Bleiberecht für Betroffene rassistischer Gewalt ohne gesicherten Aufenthaltstitel und dessen gesetzlicher Verankerung ist daher ein Kernanliegen der Opferberatungsstellen.

Heike Kleffner ist Journalistin und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. Im April 2021 erscheint der von ihr mitherausgegebene Sammelband: »Fehlender Mindestabstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde« bei Herder. Von 2009 bis Mai 2012 war sie Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. 

  • Gefördert vom:
  • im Rahmen des Bundesprogramm
  •  
  •