Leben im Kirchenasyl – Diana Namusoke hofft auf Anerkennung

2014 ist Diana Namusoke von Uganda nach Deutschland geflohen, seit zwei Jahren lebt sie in Berlin im Kirchenasyl – es ist ihre letzte Chance. Die Behörden zweifeln an ihrem Fluchtgrund. Nun wartet Diana Namusoke auf die Entscheidung des Gerichts, ob sie bleiben darf oder nach Uganda abgeschoben wird. Als lesbische Frau muss sie dort um ihr Leben fürchten.

Diana Namusoke knetet ihre Hände, wahrend sie lächelt. Sie ist aufgeregt und ängstlich zugleich. Es ist still im Café in der Kreuzberger Kirche Heilig Kreuz-Passion, das wegen des Shutdowns durch die Corona-Pandemie geschlossen ist. Am Morgen hat Namusoke die Nachricht bekommen, dass das Verwaltungsgericht Augsburg einen Termin festgelegt hat, an dem ihr Prozess stattfindet: Am 1. März soll darüber verhandelt werden, ob sie in Deutschland bleiben darf oder nach Uganda abgeschoben wird – zurück in ein Land, in dem ihr als lesbischer Frau willkürliche Gewalt und die harte strafrechtliche Verfolgung durch die Behörden droht.

Vor sechs Jahren gelang es Diana Namusoke nach Deutschland zu kommen, doch auf der Flucht ist sie schon viel länger. Bereits mit 13 weiß sie, dass sie lesbisch ist. Als sie 16 ist, erfährt ihre Familie davon und verstößt sie. Eine Frau soll Kinder bekommen, sagt man ihr. Es beginnt ein Leben, das von Angst vor gewaltsamen Übergriffen und durch Diskriminierungen geprägt ist. ≫Die Leute können dort alles mit einem machen, wenn man homosexuell ist.≪ Mehr erzählt sie nicht. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, zu erdrückend das Trauma. Sie rechnet nach. ≫34 Jahre≪, sagt sie mit leiser Stimme, ≫34 Jahre.≪ So lange ist die 50-Jährige in ihrem Leben nicht mehr zur Ruhe gekommen.

In Uganda steht Homosexualität unter Strafverfolgung und kann mit langen Gefängnisstrafen geahndet werden. Nur durch die Androhung internationaler Sanktionen konnte 2009 ein Gesetzentwurf, der die Todesstrafe vorsah, abgewendet werden. Und immer wieder gibt es Berichte über Übergriffe und Lynchmorde an Homosexuellen. 2019 verschärfte sich die Lage der LGBTIQ*-Community im Land weiter: Dutzende Homosexuelle wurden laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch festgenommen und angeklagt. Einige von ihnen wurden zu entwürdigenden Anal-Untersuchungen gezwungen. Die ugandischen Behörden behaupteten, sie konnten so herausfinden, ob ein Mann schwul sei.

Bei ihrer Ankunft in Deutschland 2014 hat Namusoke nur ein paar Kleidungsstücke dabei, nichts weiter. Sie gibt bei der ersten Anhörung an, sie sei wegen ihrer lesbischen Identität geflohen, nicht aber im darauffolgenden Prozess. Zu groß war ihre Furcht, wieder diskriminiert zu werden, wenn herauskäme, dass sie lesbisch ist. 2017 lehnt das Bundesamt für Migration und Fluchtlinge (BAMF) ihren Asylantrag ab, das Verwaltungsgericht Augsburg bestätigt die Entscheidung. Am Rande des Gerichtstermins erwähnt Namusoke gegenüber einer Mitarbeiterin der Diakonie, dass sie wegen ihrer Homosexualität geflohen ist. Im Folgeantrag gibt sie dies dann als Fluchtgrund an. Das BAMF lehnt dennoch wieder ab. Im Herbst 2018 droht Diana Namusoke schließlich die Abschiebung nach Uganda. Die Münchner Lesbenberatungsstelle LeTRa, die sie unterstützt, fragt bundesweit Kirchen an, ob sie Namusoke Zuflucht im Kirchenasyl gewahren. Und so gelangt sie von Bayern nach Berlin in das Kirchenasyl der Heilig Kreuz-Passion-Gemeinde.

Pfarrerin Ute Gniewoß, die seit drei Jahrzehnten im Kirchenasyl arbeitet, kümmert sich um sie und wird ihre engste Ansprechpartnerin. ≫Es war eine leichte Entscheidung, Diana aufzunehmen. Das hing zum einen davon ab, dass ihr Leben in Uganda bedroht ist, und zum anderen, dass sie vertrauenswürdig ist und sich an alle Vorgaben hält, die es im Kirchenasyl gibt.≪ Denn niemand weiß, wie lange sie in dieser Situation ausharren muss. Seit November 2018 wohnt Namusoke in Räumen der Gemeinde, die auch für ihre Verpflegung und ihren Unterhalt aufkommt. Nachts schlafen kann sie nur mit Medikamenten, zu viele Gedanken kreisen ständig durch ihren Kopf. Die Ungewissheit, wie es mit ihr weitergeht, zermürbt sie. Ihre Partnerin lebt in Bayern und kann sie nur selten besuchen, so bleiben den beiden nur lange Gespräche am Telefon.

Im Shutdown ist ihr Leben eintöniger geworden, vieles wie etwa der Unterricht kann zurzeit nicht stattfinden. Normalerweise hat Namusoke einen gut organisierten Alltag: Morgens und abends geht sie zur Schule, sie hilft regelmäßig bei der Berliner Tafel in der Essensausgabe und zwei Freiwillige kommen mehrmals die Woche und bringen ihr Deutsch bei. Die neue Sprache fällt ihr schwer. ≫Ich kann mich nicht gut konzentrieren, weil ich ständig darüber nachdenke, was mit mir wird.≪ Ein bisschen Freiheit genießt Namusoke, als sie Fahrradfahren beim Verein #BIKEYGEES auf dem Tempelhofer Feld lernt. Bei solchen Unternehmungen begleitet sie immer jemand aus der Kirchengemeinde. Auf den Straßen Berlins fährt sie allerdings nicht Fahrrad, darum hat Pfarrerin Gniewoß sie gebeten. Zu gefährlich für eine Anfängerin. Hinzu kommt, dass Namusoke im Kirchenasyl keine Krankenversicherung hat. Wenn sie zum Arzt geht, muss die Gemeinde alle Kosten tragen.

Was würde sie deutschen Politiker*innen sagen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekäme? ≫Es ist wichtig, geflüchteten Menschen zuzuhören, von ihren Problemen zu erfahren. Oft haben sie gar keine Chance, ihre Geschichte zu erzählen. Sie werden einfach zurückgeschickt. ≪

Ihren Fall prüft nun das Verwaltungsgericht in Augsburg erneut. Zwei Dinge soll es klären: Ist Namusoke wirklich lesbisch? Und ist die Situation für LGBTIQ*-Menschen in Uganda so gefährlich, dass sich daraus ein Asylgrund ableiten lässt? Arzte und Psychiater, auch der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Dr. Christian Stablein, haben in verschiedenen Gutachten bestätigt, dass sie schwer traumatisiert ist und kein Zweifel an ihrer lesbischen Identität besteht. Ob das reichen wird, um die Zweifel des Gerichts auszuräumen? Diana Namusoke ist unsicher, Pfarrerin Gniewoß versucht, sie zu beruhigen: ≫Verlass dich auf uns, wir haben Erfahrung und tun mit den Anwälten alles, was möglich ist.≪ Namusoke nickt zögerlich. Sie soll am 1. Marz vor Gericht erscheinen. Was hat das zu bedeuten? Soll sie vielleicht gleich in Abschiebehaft genommen werden? Es ist ihr anzusehen, wie ihr Sorgen und Gedanken durch den Kopf gehen, in Endlosschleife.

Was, wenn das Gericht entscheidet, dass sie bleiben darf? Bei dieser Vorstellung strahlt Namusoke über das ganze Gesicht. Sie möchte zurück nach Bayern zu ihrer Freundin ziehen, sich endlich frei im Kopf fühlen, entspannt. In Uganda arbeitete Namusoke als Lagerarbeiterin, in Deutschland träumt sie davon, als Altenpflegerin Menschen zu helfen. ≫Dafür muss ich mein Deutsch verbessern, das weiß ich. Dafür arbeite ich hart.≪ Erst einmal heißt es für sie wieder warten, grübeln. Ihr Schicksal liegt in den Händen anderer.

Am 1. März einigte sich das Gericht in Augsburg mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf, dass ein Abschiebeverbot erteilt wird. Diana Namusoke erhalt eine Aufenthaltsgenehmigung für mindestens ein Jahr, Verlängerungen und unter bestimmten Bedingungen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach fünf Jahren sind möglich. Die Entscheidung wurde deutlich als Einzelfallentscheidung markiert.

 

ASYL IN DER KIRCHE: EIN ÜBERBLICK

Ende Januar 2021 befanden sich 508 Menschen im Kirchenasyl, darunter 103 Kinder. 279 der Kirchenasyle sind sogenannte Dublin-Fälle, also Fälle, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgestellt hat, dass ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren zuständig ist.

Das Kirchenasyl steht in einer jahrhundertealten Schutztradition, aus der heraus es sich in den vergangenen vier Jahrzehnten zu einer Praxis entwickelt hat, die dann greift, wenn Abschiebung in Gefahrensituationen droht. Das erste Kirchenasyl wurde im Jahr 1983 in Berlin gewahrt. 1994 wurde die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gegründet.

Kirchenasyl ist der letzte und legitime Versuch einer Gemeinde, Geflüchteten durch zeitlich befristete Schutzgewährung beizustehen, um darauf hinzuwirken, dass ihre Situation erneut und sorgfältig überprüft wird. Indem Kirchengemeinden Kirchenasyl gewahren, treten sie zwischen Behörden, die Anordnungen zum Abschiebungsvollzug auszuführen haben, und Geflüchtete. Das Kirchenasyl schafft Zeit für weitere Verhandlungen und für ein faires Verfahren, in dem alle Aspekte berücksichtigt werden.

Die Gemeinde bietet den Geflüchteten in ihren Räumlichkeiten einen Schutzort. Kirchenasyle werden aus Spendengeldern finanziert. Menschen im Kirchenasyl sind nicht krankenversichert. Im Falle einer Erkrankung müssen individuelle Lösungen gefunden werden. Die Dauer eines Kirchenasyls ist ungewiss. In achtzig bis neunzig Prozent der Falle ist das Kirchenasyl erfolgreich, das heißt, es wird festgestellt, dass nicht abgeschoben werden durfte, weil humanitäre Grunde dagegensprachen.

 

Ute Brenner, Historikerin und Redakteurin, ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. 

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