Pastorin Sandra Bils hat mit diesem Satz eine beispiellose Aktion ausgelöst. Nach ihrer Predigt beim Kirchentag 2019 mitbegründete sie den Verein "Gemeinsam Retten", der sich – unterstützt von der Evangelischen Kirche in Deutschland – an der Seenotrettung im Mittelmeer beteiligt.
Ute Brenner: Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund im Juni 2019 haben Sie für diesen Satz in Ihrer Predigt sehr viel Aufmerksamkeit bekommen: »Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt!« Die Äußerung ging viral. Wie kam es zu der Aussage?
Pastorin Sandra Bils: Als ich darüber nachgedacht habe, worüber ich beim Kirchentag predigen möchte, wollte ich Dinge ansprechen, die in der aktuellen Situation, aber auch in den Jahren davor für mich als Christin wichtig waren. Daher habe ich mich in der Predigt für zwei Themen entschieden. Das eine Thema war Gnade, was in meiner Theologie die wichtigste Fragestellung ist. Zum Zweiten wollte ich zeigen, wie christlicher Glaube und Nachfolge heutzutage ganz praktisch aussehen könnten. Als ich auf der Suche nach einem konkreten Beispiel war, war für mich schnell klar, dass es um die Situation der Geflüchteten im Mittelmeer gehen sollte. Ich habe nicht damit gerechnet, dass dieser Satz so viral und durch die Decke geht. Das war dann wiederum auch Gnade. So kamen die beiden Themen wieder zusammen.
Was ist anschließend passiert?
Es hat sich eine kleine Gruppe mit Menschen gebildet, die sich zum Teil schon viel länger mit dem Thema beschäftigen als ich. Aber wir alle teilten die Sehnsucht danach, etwas zu tun. Und so haben wir auf einen Impuls der Evangelischen Kirche Deutschland hin einen Verein gegründet, der Gemeinsam Retten heißt. Als Erstes haben wir vier Hauptforderungen, worum es in der Arbeit gehen soll, festgelegt. Als Nächstes haben wir angefangen, Spendengelder zu sammeln.
Welches sind denn die Hauptforderungen des Vereins Gemeinsam Retten?
Die erste Aussage ist: Seenotrettung ist eine Pflicht. Das ist einerseits geltendes Recht, aber andererseits sind wir als Menschen auch dazu verpflichtet, Menschen nicht ertrinken zu lassen. Die zweite Forderung ist: Wir sprechen uns gegen die Kriminalisierung und Behinderung der zivilen Seenotrettung aus. Es ist nach wie vor so, dass die, die sich daran beteiligen, mit harten Repressalien rechnen müssen und das kann nicht angehen. Das dritte Ziel ist: Wir werben für schnelle und faire Asylverfahren, weil auch das ein Menschenrecht ist. Und das vierte ist: Wir werben dafür, dass sichere Häfen ermöglicht werden. Daran arbeiten wir gemeinsam mit unserem Bündnispartner Seebrücke. Es gibt in Deutschland sehr viele Städte und Kommunen, die Menschen aufnehmen würden. Es kann nicht sein, dass nur aufgrund von Verteilmechanismen, die mir nicht einleuchten, Menschen, die gerettet werden, keine Zukunft in Deutschland haben.
Entstanden ist inzwischen das Bündnis United4Rescue, das mehr als 700 Organisationen zusammengebracht hat. Es wurden Spenden für mittlerweile zwei Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer gesammelt. Im Juni 2020 rettete die Sea-Watch 4 bei ihrem ersten Einsatz mehr als 350 Menschen das Leben, das zweite Schiff, die Sea-Eye 4, wird derzeit für ihren ersten Einsatz umgebaut. Hätten Sie so etwas am Anfang für möglich gehalten?
Dass aus so einer kleinen Idee und einem Predigtgedanken so etwas Riesengroßes entsteht und so viele Leute mitmachen und wir gemeinsam so viel erreichen, hätte ich nie zu hoffen gewagt: Ich muss auch immer noch darüber schmunzeln und gleichzeitig kriege ich immer wieder eine Gänsehaut, wenn ich merke, dass das Engagement von Christinnen und Christen so viel verändern kann. Das motiviert mich, jeden Tag weiterzumachen.
Prof. Dr. min. Sandra Bils ist Pastorin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Seit 2020 ist sie in der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung in Berlin theologische Referentin für missionarische Bildung.
Ute Brenner, Historikerin und Redakteurin, ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.