Wie viele Flüchtlinge gibt es derzeit weltweit und wo leben sie?
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Flüchtlinge weltweit auf mehr als 80 Millionen angestiegen. Kinder und Jugendliche machen mit 40 Prozent einen großen Teil der Schutzsuchenden aus.
Mehr als die Hälfte von ihnen sind als sogenannte Binnenflüchtlinge innerhalb ihres Landes unterwegs. Traurige Spitzenreiter sind hier die Länder Kolumbien, Syrien, Kongo, Jemen, Somalia, Nigeria und Afghanistan. Viele fliehen aber auch in Nachbarländer. In absoluten Zahlen gesehen, leben mit rund vier Millionen die meisten Flüchtlinge in der Türkei, die Mehrheit von ihnen stammt aus dem Nachbarland Syrien. In Jordanien leben schätzungsweise 750.000 Flüchtlinge, mehr als sieben Prozent der Bevölkerung. In Relation zur Bevölkerung hat das Land Libanon mit über 1,6 Millionen die meisten Flüchtlinge aufgenommen – fast jede siebte hier lebende Person ist ein Flüchtling, ebenso meist aus dem Nachbarland Syrien.
In der Europäischen Union leben derzeit nur etwa 3,5 Millionen Flüchtlinge – davon ungefähr 40 Prozent in Deutschland. Die Zugangszahlen sinken allerdings drastisch: 2020 wurden gerade mal 102.581 Asylerstanträge verzeichnet. Wenn man davon die hier geborenen Kinder (die nicht neu in das Land eingereist sind, für die aber trotzdem oft ein Asylantrag gestellt wird) herausrechnet, bleiben sogar nur 76.061 Asylerstanträge übrig. Das ist die niedrigste Zahl in Deutschland seit 2012.
Was sind die Fluchtursachen?
Menschen fliehen weltweit vor Krieg, bürgerkriegsähnlichen Zustanden, Verfolgung und Unterdrückung oder aus Existenznot. Vermehrt kommen Extremwetterbedingungen hinzu, die den Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Häufig ist es ein Zusammenspiel von Klima, Konflikten, Hunger, Armut und Verfolgung.
Wie viele Flüchtlinge erhalten in Deutschland Schutz?
In Deutschland erhielten im Jahr 2020 nur 43 Prozent aller Asylsuchenden auch tatsachlich einen Schutzstatus. 32 Prozent der Anträge wurden nach inhaltlicher Prüfung abgelehnt. Viele der negativen Entscheidungen, die inhaltlich vom BAMF getroffen wurden, werden nachträglich von Gerichten korrigiert – 2020 war dies fast jeder dritte inhaltlich vor Gericht geprüfte Fall.
Knapp 25 Prozent wurden ohne inhaltliche Prüfung aus formalen Gründen abgelehnt – das ist zum Beispiel haufig der Fall, wenn Menschen für ihren Asylantrag auf einen anderen EU-Staat verwiesen werden, durch den sie zuvor durchgereist waren. Seit 2013 zwingt eine europäische Zuständigkeitsregelung (kurz: Dublin-Verordnung) die Schutzsuchenden strukturell, in den Ersteinreisestaaten zu verbleiben und dort ihre Asylverfahren durchzuführen.
Auf welche rechtlichen Grundlagen bezieht sich die Anerkennung der Fluchtgründe?
Die wichtigste internationale Grundlage zur Festlegung, wer ein Flüchtling ist und welche Rechte ihm zustehen, ist die Genfer Flüchtlingskonvention. Darin ist definiert, dass ein Mensch als Flüchtling anzuerkennen ist, wenn sie/er aufgrund ihrer/seiner (wie es damals formuliert wurde) ≫Rasse≪, Zugehörigkeit zu einer Religion, zu einer Nationalität oder zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund politischer Überzeugung staatlich verfolgt wird – oder wenn er/sie von diesem Staat nicht ausreichend vor einer solchen Verfolgung durch andere Bevölkerungsgruppen geschützt wird. Die Konvention hat auch Eingang in das europäische (EU-Qualifikationsrichtlinie) und deutsche Asylrecht (§ 3 Asylgesetz) gefunden.
Im europäischen Asylrecht gibt es zudem den ≫subsidiären Schutz≪. Dieser tritt ein, wenn dem schutzsuchenden Menschen bei einer Rückkehr in ihr/sein Herkunftsland ≫ernsthafter Schaden≪ – so der Rechtsjargon –, die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht – jedoch die Kriterien nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erfüllt sind.
Wie gelangen Geflüchtete überhaupt noch nach Europa? Was hat sich durch das EU-Türkei-Abkommen geändert?
Ein restriktives europäisches Visa-Regime verhindert, dass Menschen, die vor Verfolgung und Krieg fliehen, sich einfach in ein Flugzeug setzen, an einem europäischen Flughafen einreisen und um Schutz bitten können. Die meisten Schutzsuchenden sind daher gezwungen, ohne gültige Einreisepapiere und mit der Hilfe von Schleppern zu fliehen. Das ist sehr gefährlich und häufig tödlich.
Die EU hat in den vergangenen fünf Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Flucht in die EU zu verhindern, vor allem mit dem EU-Türkei-Abkommen. In diesem hat sich die Türkei verpflichtet, Schutzsuchende an der Flucht in die EU über die Ägäis zu hindern. Außerdem wurde vereinbart, dass Flüchtlinge, die es auf die griechischen Inseln schaffen, von dort aus zurückgeschickt werden. Die Türkei wird als sicherer Drittstaat erachtet, obwohl sie die Genfer Flüchtlingskonvention nicht in Gänze ratifiziert hat, keinen dauerhaften Schutz bietet, Tausende in der Illegalität leben müssen.
In der Türkei selbst kommt es immer wieder zu Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Die Türkei ist kein Rechtsstaat, der Verfolgte schützt und wo das Handeln der Behörden durch unabhängige Gerichte überprüft wird.
In der EU werden die Fluchtgründe nicht mehr inhaltlich geprüft, es geht nur noch um die Frage, ob die Schutzsuchenden zurückgeschoben werden können. Für die Dauer ihres Asylverfahrens müssen sie in katastrophalen Zustanden auf den griechischen Inseln bleiben. Die Bilder von Moria sind um die Welt gegangen – sie sind eine Folge des EU-Türkei-Deals. Sie sollen abschrecken und demoralisieren, das Elend ist ein politisches Kalkül.
Was sind Push-Backs?
Schutzsuchende werden an der EU-Grenze oft ohne ein Verfahren in das Land, aus dem sie kommen, zurückgedrängt – zurückgepusht. Diese Zurückweisungen sind illegal, denn laut Europäischer Menschenrechtskonvention darf kein Mensch einfach so in ein Land zurückgewiesen werden, in dem ihm Folter, unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung droht.
Die Zurückweisungen sind häufig brutal, zum Teil werden an den Grenzen sogar Schusswaffen eingesetzt, um Schutzsuchende vom Grenzübertritt abzuhalten.
Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen und Journalist* innen belegen, dass in der Ägäis Push-Backs verübt werden. Bei den politisch Verantwortlichen in der EU und in Griechenland herrscht hierzu systematisches Schweigen oder Leugnen. Die gewalttätigen Attacken auf Schutzsuchende und auf deren Recht, Asyl zu suchen, geschehen zu Tausenden: Die Zahl der Ankünfte auf den griechischen Inseln ging massiv zurück – von 59.726 (2019) auf 9.714 (2020).
Auch mit der Schließung der Balkanroute Anfang 2016 wurde den geflüchteten Menschen der Weg zu Schutz und Asyl versperrt. Annähernd 14.000 Falle von Push-Backs wurden seitdem dokumentiert – was jedoch nur einen Bruchteil des tatsachlichen Geschehens erfasst.
Wie läuft ein Asylverfahren in Deutschland ab?
Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird einem bestimmten Bundesland zugewiesen und muss dort für die Dauer des Asylverfahrens in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben (bei Ablehnung auch darüber hinaus bis zur Abschiebung). Wer einen Schutzstatus zugesprochen bekommt, kann die Aufnahmeeinrichtung verlassen und bekommt eine Wohnung oder Gemeinschaftsunterkunft in einer Kommune zugewiesen.
Fiene Wolf ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von PRO ASYL tätig, zudem begleitet sie Kooperationen mit anderen Initiativen, Organisationen und Bundnissen.
Günter Burkhardt ist einer der Mitbegründer von PRO ASYL. Er vertritt PRO ASYL auf politischer Ebene in Gremien sowie gegenüber Organisationen, Verbanden und Parteien. Er ist außerdem Vorstandsmitglied der Stiftung PRO ASYL.