Das neue „Gesetz gegen homosexuelle Propaganda“ in Russland erschwert Homosexuellen und LGBTs den offenen Umgang mit ihrer Identität und Sexualität. Konstantin Baranov engagiert sich seit zehn Jahren in Menschenrechtsorganisationen in Russland.
Konstantin Baranov, geboren in Rostov-am-Don, ist u.a. Mitglied des Koordninierungsausschusses des internationalen Youth Human Rights Movement mit Sitz in Voronezh.
Lieber Kostja, du engagierst dich für die Menschenrechte und gegen Homophobie. Wir haben in der Presse viel über das neue “Gesetz gegen homosexuelle Propaganda” in Russland gehört. Kannst du uns erklären, worum es sich hierbei handelt?
Das im Juni verabschiedete Gesetz verbietet die Verbreitung von Informationen über „nicht traditionelle sexuelle Beziehungen“ unter Minderjährigen. Das bedeutet faktisch, dass jegliche positive Information über LGBT-Themen in der Öffentlichkeit eine Straftat ist, die mit hohen Geldstrafen oder einem Maximum von 15 Tagen Gefängnis bestraft wird.
Dieses Gesetz basiert auf der Annahme, dass Homosexualität anormal und LGBT-Personen Fremde innerhalb der russischen Gesellschaft seien. Dies macht es unmöglich für LGBT-Personen, mit ihrer Sexualität offen zu leben. Zudem legalisiert das Gesetz homophobe Hassreden und Gewalt.
Interessant ist, dass im Gesetz das Wort Homosexualität gar nicht auftaucht. Stattdessen wird der Begriff “Propaganda gegen nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen” verwendet. Dies war ein Versuch, die internationale Kritik am Gesetz zu verringern. Das Problem hierbei ist, dass der Begriff nicht weiter definiert ist. Daraus ergibt sich ein großer Spielraum für Interpretationen und Missbrauch. Jeder Versuch der öffentlichen Anfechtung des Gesetzes kann schon als “Propaganda” gewertet werden. Die Geldbußen, die hierfür eingeführt wurden, sind so hoch, dass sich jede Menschenrechts- oder LGBT-Vereinigung im Falle einer Verurteilung auflösen müsste.
Ist es Zufall, dass das Gesetz kurz nach der Wiederwahl von Präsident Vladimir Vladimirovitch Putin eingeführt wurde?
In der Menschenrechtsbewegung sehen wir dieses Gesetz als Teil einer generellen Maßregelung von Seiten der Obrigkeit auf die Zivilgesellschaft und die politische Opposition. Diese Entwicklung beinhaltet auch andere Gesetze, beispielsweise die Verhängung harter Einschränkungen auf das Internet, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Auch eine Anzahl von politisch geführten Prozessen stehen in diesem Zusammenhang. Die Idee eines solchen Gesetzes ist zurückzuverfolgen bis vor die Wiederwahl von Vladimir Putin. Das Regionalgesetz in St. Petersburg wurde beispielsweise 2011 verabschiedet und es gab schon ähnliche Verfügungen in zehn anderen Regionen. LGBTs und Migrant_innen entwickelten sich zu Zielobjekten der weit verbreiteten Xenophobie in der russichen Bevölkerung. Die Behörden zielten darauf ab, diese Haltungen auszunutzen und die Unzufriedenheit der Menschen zu kanalisieren, um sie so von anderen sozialen und politischen Problemen abzulenken.
Bisher gab es jedoch keine Gesetzesgrundlage für diese Diskriminierung Homosexueller und LGBTs, da Homosexualität seit 1993 legal ist. Nun wurde ein Weg gefunden, dieses Handeln rechtlich zu legitimieren. Sie überlegten sich einen neuen Weg der Kriminalisierung: Die Einschränkung der Meinungsfreiheit zum “Schutze von Minderjährigen”.
Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass dieser Gesetzestrend nicht nur in Russland zu beobachten ist – Moldawien hat eine ähnliche Gesetzgebung verabschiedet, in der Ukraine wird hierüber gerade verhandelt, und in Armenien gibt es Versuche, Ähnliches durchzusetzen.
Wie reagiert die russische Bevölkerung auf das Gesetz?
Ich würde sagen, dass die Debatte zu diesem Gesetz die russische Gesellschaft polarisiert hat. Wir haben viel weniger gleichgültige Personen bezüglich des Themas, als es noch vor einigen Jahren der Fall war.
Auf der einen Seite ist der Hass in der Öffentlichkeit sichtbarer geworden. Zur gleichen Zeit stelle ich aber auch fest, dass es noch nie so viele Äußerungen gegen Homophobie und so viele Solidaritätsaufrufe gegeben hat wie in den letzten Monaten. Das gibt uns Hoffnung.
Wie engagiert sich die LGBT-Bewegung gegen das Gesetz, wie die Menschenrechtsbewegung?
Die LGBT-Bewegung hat selbstverständlich während der Debatten über den Gesetzesentwurf zur Ablehnung aufgerufen. Die Aktionsformen gingen hier von etwas radikalen Formen (Straßenproteste, Aufruf zu internationalen Sanktionen gegenüber den Verfasser_innen des Gesetzes etc.) über Versuche, sich für eine Verschiebung des Gesetzes einzusetzen, bis hin zu Änderungsvorschlägen, die das Gesetz entschärft hätten. Nach der Verabschiedung des Gesetzes wurde versucht, große internationale Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist auch im Kontext der nun anstehenden Winter-Olympiade 2014 in Sotchi zu betrachten.
Innerhalb der Menschenrechtsbewegung gibt es laufende Diskussionen, wie das Gesetz auf legalem Wege angefochten werden kann. Zu diesem Zwecke brauchen wir aber Anwendungsfälle, von denen es bisher noch nicht so viele gibt.
Generell kann gesagt werden, dass das Gesetz zu einer engeren Kooperationen innerhalb der LGBT-Bewegung sowie mit der Menschenrechtsbewegung geführt hat. Ich hoffe, dass diese Kooperation zu realen Ergebnissen führt und wir das Gesetz, aber auch die generelle Diskriminierung von LGBT-Personen bekämpfen können.
Wie können wir uns deine tägliche Arbeit vorstellen? Wie unterstützt du die LGBT-Bewegung?
Früher war ich stärker in der LGBT-Bewegung vernetzt. Ich half bei der Anleitung von lokalen Gruppen in zwei russischen Städten: Rostov-am-Don und Voronezh, unterstützte diese bei Seminaren, Fundraising und rechtlichen Fragen und verband sie mit den Menschenrechtsbewegungen. Ich war beteiligt an den ersten Bemühungen des Monitorings von Erscheinungsformen in Bezug auf Diskriminierung von LGBT-Personen in Russland. Darüber hinaus war ich ein Gründungsmitglied des russischen LGBT-Netzwerkes.
Mein Verein, die Youth Human Righs Movement, war eine der ersten Menschenrechtsbewegungen in Russland, die 2006 offen die LGBT-Bewegung unterstützte – wir organisierten erste Seminare für AktivistInnen, starteten die „Woche gegen Homophobie“ – eine große Kampagne, die später jährlich durchgeführt wurde – und wir veröffentlichten mehrere themenbezogene Publikationen.
Jetzt berate ich hauptsächlich LGBT-Bewegungen in Bezug auf internationale Interessensvertretungen, Antidiskriminierungsarbeit und Hassverbrechen – wir veröffentlichen zusammen Berichte, Informationsmaterialien und Aufrufe, die an internationale Organisationen gerichtet sind. Manchmal nehme ich auch selbst an öffentlichen Aktionen gegen Homophobie teil.
Gab es denn schon Verurteilungen von Personen auf Grundlage des Gesetzes?
Wenn wir über das neue “Anti-Propaganda” Gesetz auf nationaler Ebene sprechen, wurde dieses bisher noch nicht angewandt, aber ähnliche regionale Gesetze schon: LGBT-AktivistInnen wurden während Straßen-Rallys in Gewahrsam genommen oder mit Geldstrafen belegt, weil sie Slogans mit der Botschaft “Homosexuell zu sein, ist okay” veröffentlichten. Ein Fall ereignete sich vor einigen Monaten in St. Petersburg, wo ein Aktivist angeklagt wurde, weil er direkt vor einer Kinderbücherei mit einem ironischen Plakat stand, auf dem zu lesen war: “Homosexualität ist nicht pervers. Was pervers ist, ist Hockey auf Rasen und Ballett auf Eis”, ein Zitat einer berühmten sowjetischen Schauspielerin. Aber in den meisten Fällen, in denen das Gesetz angewandt werden könnte, versuchen Gerichte, dies zu vermeiden und benutzen anstelle dessen andere Gesetzesgrundlagen zur Verurteilung.
Die Hauptabsicht hinter der Einführung des Gesetzes bestand nicht in seiner sofortigen Anwendung, sondern darin, jegliche Diskussion über LGBT-Themen im öffentlichen Diskurs an den Rand zu drängen und Selbstzensur herbeizuführen. Wir können jetzt feststellen, dass Kulturveranstaltungen abgesagt, Filme nicht ausgestrahlt und Bücher nicht verkauft werden. Dies geschieht in den meisten Fällen nicht durch Behörden, sondern durch Privatmenschen, die einfach Angst vor Komplikationen haben. Natürlich ist aber die gefährlichste Auswirkung des Gesetzes der signifikante Anstieg physischer homophober Gewalt. Seit Januar diesen Jahres gibt es mindestens ein Dutzend gemeldeter Gewalttaten gegenüber LGBT-Personen oder gegenüber denjenigen, die für solche gehalten werden.
Ich habe festgestellt, dass nach der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament AktivistInnen begannen, den rosa Winkel als Solidaritäts- und Wiedererkennungszeichen zu verwenden. Kannst du erklären, wie das zustande kam?
Der rosa Winkel ist ein weltbekanntes Symbol der Erinnerung an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, manchmal wird es aber auch als ein Widerstandssymbol gegenüber heutiger homophober Politik benutzt.
Ich denke, dass es ein guter Weg ist, persönlichen Protest und Solidarität in einer sichtbaren Weise zu zeigen. Auch viele heterosexuelle Menschen taten dies.
Ein anderes Symbol der LGBT-Bewegung ist die Regenbogen-Fahne, aber in diesem Kontext erscheint diese als zu positiv und freudvoll. Es gibt momentan nichts zu feiern.
In der NS-Zeit wurden homosexuelle Personen systematisch auf staatliche Anordnung vernichtet. Das ist eine brutalere Verfolgung als heutzutage in Russland – auch wenn das russische Gesetz ohne Zweifel sehr beängstigend ist. Siehst du aus dieser Argumentation heraus eine Problematik in der Nutzung des Symbols?
Ich verstehe das Argument, sehe aber ehrlich gesagt keinen Widerspruch. Für mich bedeutet das Tragen eines rosa Winkels heutzutage beides: Eine Erinnerung an diejenigen, die in Konzentrationslagern ermordet wurden und gleichzeitig eine Erinnerung an die Gegenwart, wie weit unmenschliche Politik gehen kann, die oftmals mit täglichen Diskriminierungen beginnt.
Wir haben schon Opfer – diese wurden eingeschüchtert, geschlagen, gefoltert und sogar getötet. Wir müssen mit Bezugnahme auf tragische Beispiele aus der Geschichte mahnen, damit die aktuelle Situation nicht noch schlimmer wird.
Eine ganz andere Frage: Russland fasziniert immer noch unglaublich viele Personen aus der ganzen Welt. Ist es immer noch möglich, als LGBT mit einem europäischen Pass Russland zu besuchen?
Auf jeden Fall ist das möglich. Natürlich erscheint es in einigen Punkten gefährlicher als in anderen Ländern, aber es sollte auch nicht vergessen werden, dass Ausländer_innen (besonders die, die aus den westlichen Staaten kommen) traditionell von einem anständigeren Umgang ausgehen können als die meisten Staatsbürger_innen. Das klingt paradox, aber die Herrschenden haben immer noch ein großes Interesse daran, das Land in einem guten Licht zu präsentieren und internationale Skandale zu vermeiden. Momentan gibt es viele Boykott-Aufrufe bezüglich internationaler Sport- und Kulturveranstaltungen in Russland. Ich selbst glaube nicht, dass ein Boykott eine gute Idee ist, um wirkliche Solidarität zu zeigen. Je mehr LGBT oder Unterstützer_innen hierher kommen und ihre Solidarität zeigen, desto besser.
Gibt es weitere Möglichkeiten, euch im Kampf gegen Homophobie in Russland zu unterstützen?
Momentan beobachten wir gerade eine große Anzahl an Solidaritätsaktionen an vielen verschiedenen Orten der Welt. Manche rufen zum Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotchi auf, andere fordern politische Sanktionen gegen diejenigen, die für die Gesetze verantwortlich sind. Aus der Perspektive eines Menschenrechtlers würde ich sagen, dass diese Aktionen gegen Homophobie nur dann Erfolg haben können, wenn sie in einen größeren Kontext gestellt werden: in den Kontext der generellen Einschränkung der Grundrechte. Diese hat faktisch dazu geführt, dass jegliche Kritik an der Politik ungesetzlich geworden ist. Sich nur mit Homophobie und LGBT-Diskriminierung zu beschäftigen, kann sogar kontraproduktiv sein, weil es die LGBT-Bewegung vom generellen Kampf für Freiheit und Gleichheit im Land abkoppelt.
Es sollte mehr öffentliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Russland geben und es sollte mehr Druck auf internationale Politiker_innen ausgeübt werden, damit Russland sich in Zukunft an internationale Menschenrechtsvereinbarungen hält.
Das Interview wurde Ende August 2013 von Jakob Stürmann geführt. Jakob Stürmann hat Gender Studies, Geschichte und Osteuropastudien studiert und ist Mitarbeiter bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.