Seit Sommer 2015 erlebt Deutschland die schlimmste rassistische Gewaltwelle seit mehr als zwanzig Jahren. Eine Bestandsaufnahme der Strategien und Forderungen rechtspopulistischer Akteure in Deutschland
Allein im Jahr 2016 zählte die Bundesregierung mehr als 3.550 Straftaten gegen Flüchtlinge, darunter fast tausend Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Dabei wurden 560 Menschen verletzt, unter ihnen 43 Kinder. Nur vielen glücklichen Zufällen ist zu verdanken, dass es dabei keine Todesopfer gab. Gleichzeitig hat sich eine rechte Bewegung formiert, die rassistische mit antidemokratischer Agitation verbindet und punktuell an Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung anknüpfen kann – beginnend mit Pegida in Dresden, aber längst nicht mehr darauf beschränkt. Diese Bewegung ist nicht neonazistisch dominiert, die NPD spielt an den meisten Orten keine große Rolle mehr. Stattdessen bestimmen neue Akteur*innen die Dynamik: Die sich intellektuell gebende Neue Rechte will die Bundesrepublik in eine autoritäre und ethnisch homogene Gesellschaft verwandeln und knüpft an völkische Vorgänger des Dritten Reichs an. Die sogenannte Identitäre Bewegung, eine Gruppe von jungen rechtsextremen Aktivist*innen, verbindet rassistische und antifreiheitliche Parolen mit popkulturellem und aktionistischem Auftreten. Rechtspopulist*innen erklären sich zu den wahren und einzigen Vertreter*innen vermeintlicher Volksinteressen – alle anderen Meinungen, egal ob von Gegendemonstrant*innen oder gewählten Parlamentsabgeordneten, werden so als illegitim und »volksverräterisch« bezeichnet, womit die Grundlage jeder demokratischen Debatte zerstört wird. Die Wahlerfolge der AfD sind Ausdruck und Ergebnis dieser Bewegung. Auch jenseits tätlicher Angriffe ist Gewalt allgegenwärtiger geworden: Rechte Internetseiten verbreiten Hass und Hysterie. Vor schrecklichen Kriegen geflüchtete Menschen werden als »Invasoren« diffamiert, Ängste vor »Islamisierung« und einem angeblichen »Bürgerkrieg« geschürt. Diskussionen – etwa in sozialen Netzwerken wie Facebook – sind oft von Beleidigungen, Verachtung und Verleumdung geprägt. Umgekehrt werden bisweilen berechtigte Kritik oder besorgte Fragen undifferenziert als rechtsextrem oder populistisch abgekanzelt. Im gegenwärtig polarisierten Klima sind jedenfalls konstruktive Debatten über gesellschaftliche Probleme oder politische Lösungen immer schwieriger.
Was ist Rechtspopulismus? Und was ist die Neue Rechte?
Unter Rechtspopulismus wird eine politische Strategie verstanden, die autoritäre Vorstellungen vertritt und verbreitete rassistische Vorurteile ausnutzt und verstärkt. In der Politikwissenschaft wird als Kern von Populismus eine demagogische Argumentation bezeichnet, die »den kleinen Mann« oder »das einfache Volk« gegen »das Establishment« oder »die da oben« stellt. Als Feind können Regierungsapparate, Konzerne, Parteien oder auch Medien dienen. Solche Argumente sind sowohl von links als auch von rechts denkbar. Rechtspopulist*innen aber grenzen die »Wir-Gruppe« nicht nur nach oben ab, sondern auch strikt nach außen, beispielsweise gegen ethnische oder religiöse Gruppen, in Deutschland
meist gegen Menschen muslimischen Glaubens. Soziale Missstände und Kriminalität versuchen sie durch vermeintliche »rassische« oder kulturelle Besonderheiten zu erklären – beispielsweise werden Sinti und Roma pauschal als kriminell diffamiert.
Umgangssprachlich meint der Begriff Rechtspopulismus häufig eine gemäßigte oder modernisierte Form von Rechtsextremismus. In der Tat gibt es Schnittmengen zwischen beiden Phänomenen, aber Rechtspopulismus ist eher eine politische Strategie als eine geschlossene Ideologie. Er zeichnet sich oft aus durch inszenierte Tabubrüche, das Einfordern radikaler Lösungen und den Hang zu Verschwörungstheorien. Rechtspopulist*innen fordern oft »mehr Härte« gegen Kriminelle, Drogenabhängige oder auch Wohnungslose. Sie schüren Ängste vor »Überflutung« oder »Überfremdung« durch Migrant*innen und vertreten oft islamfeindliche Positionen. Bei Themen wie Abtreibung, Ehe und Familie oder auch der Bildungspolitik ähneln ihre Positionen oft denen von Konservativen. Um sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen, betonen Rechtspopulist*innen gern ihre Verfassungstreue – doch stellen sie in ihrer Agitation Grundwerte wie Menschenwürde, Gleichheit, Minderheitenschutz, Diskriminierungsverbot infrage.
Anders als in den Nachbarländern blieben rechtspopulistische Parteien in Deutschland lange relativ bedeutungslos. In jüngster Zeit aber ist die 2013 gegründete, inzwischen als rechtspopulistisch geltende, Alternative für Deutschland (AfD) erfolgreich.
Doch die neue Bewegung von rechts ist nicht nur rechtspopulistisch. In ihr ist auch die Neue Rechte stark präsent. Unter diesem Begriff wird eine geistige Strömung verstanden, deren Ziel die intellektuelle Erneuerung des Rechtsextremismus ist. Sie versucht, sich von der deutlich am historischen Nationalsozialismus orientierten »Alten Rechten« abzusetzen.
Wesentliche ideologische Elemente der Neuen Rechten sind: die Ablehnung von Individualismus und Liberalismus, von Parlamentarismus und gesellschaftlicher Vielfalt; Vorstellungen von einem ethnisch homogenen, hierarchischen und elitär geführten autoritären Staat; eine Frontstellung gegen das kritische Erinnern an den Nationalsozialismus.
Als wichtigste Zeitschriften der Neuen Rechten in Deutschland gelten Junge Freiheit (JF) und Sezession. Das in Schnellroda ansässige Institut für Staatspolitik (IfS) wird ebenfalls zur Neuen Rechten gezählt. Etliche Protagonist*innen der Strömung, etwa JF-Chefredakteur Dieter Stein oder die IfS-Gründer Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek, stammen aus extrem rechten Burschenschaften oder Studentenverbindungen wie der Deutschen Gildenschaft.
Die Rolle der AfD
Die Wahlerfolge der Af D wären ohne das sie umgebende Milieu, ohne Pegida, ohne Zeitschriften wie das Compact Magazin nicht möglich gewesen. Ihre parlamentarischen Vertretungen agieren vor allem in Ostdeutschland als Bewegungspartei: Der Fokus
ihrer Tätigkeiten liegt nicht auf klassischer Parlamentsarbeit wie der Mitwirkung in Ausschüssen. Sie legt ihren Schwerpunkt stattdessen auf Aktivitäten, die in die Gesellschaft wirken sollen, wie etwa das Durchführen von Kundgebungen und vor allem gezielte Provokationen, die hitzige Debatten auslösen sollen.
Während ihre Wahlergebnisse seit Mitte 2016 stagnieren und ihre politische Dynamik vorläufig gebrochen zu sein scheint, sollte doch festgehalten werden: Auch bei nachlassenden Stimmzahlen hat das Milieu um die AfD herum heute gesellschaftlich eine wesentlich stärkere Bedeutung als noch vor wenigen Jahren. Mit der Bewegung – und folglich mit der AfD – ist auf Dauer zu rechnen, weil es in weiten Teilen der Bevölkerung eine tiefgreifende Entfremdung vom politischen System der Bundesrepublik gibt. Diese ist vorläufig auch nicht rückholbar – vor allem weil sie an mehreren Punkten an Mehrheitsmeinungen anknüpfen kann: an einen weit verbreiteten Rassismus und auch an Ressentiments gegenüber dem Islam. Dies machte wieder einmal eine im Februar 2017 veröffentlichte Studie von Chatham House
deutlich: In Deutschland sind 52 Prozent dafür, jegliche muslimische Zuwanderung zu stoppen, und nur etwa 18 Prozent dagegen.
Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus
Die »Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus« ist ein Zusammenschluss von Initiativen und Organisationen, die Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit innerhalb und außerhalb der Kirchen konstruktiv entgegentreten