In der Gemeinde, bei der Arbeit oder auf Familienfesten. Überall begegnen uns rechtspopulistische Äußerungen. Wie können wir über Populismus sprechen, ohne auf Konfrontation zu gehen?
Sie kommen plötzlich und überraschend, Sprüche wie diese: »Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg«, »Das sind ja alles nur Wirtschaftsflüchtlinge«, »Die da oben machen doch, was sie wollen« oder »Unter Hitler war ja nicht alles nur schlecht«. Das sind die »Klassiker«. Nachdem in der letzten Zeit viele geflüchtete Menschen nach Deutschland gekommen sind, richten sich solche Äußerungen auch gegen sie und gegen »den Islam«. Etwa so: »Die haben ja alle Smartphones – so arm können sie ja gar nicht sein«, »Demnächst werden wir vom Islam beherrscht«. Es sind Stammtischparolen. Sie kommen aus der Tiefe und Mitte des Alltags, sie überrumpeln, man ist in der Regel nicht darauf vorbereitet. Und keineswegs werden sie nur an den Stammtischen geäußert, auch an der Ladentheke, im Kantinengespräch mit Kolleg/-innen, beim Plausch mit dem Nachbarn am Gartenzaun, im Zug, Bus oder der Straßenbahn und – besonders erschwerend – bei Familienfeiern tauchen sie auf. Sie sind immer und überall. Bei vielen unfreiwilligen Zuhörern und Zuhörerinnen macht sich Ratlosigkeit breit. Sprachhemmungen treten auch bei ansonsten redegewandten Menschen auf. Klar ist, dass das, was da geäußert wird, im Widerspruch zu demokratischen Prinzipien und den eigenen humanen Einstellungen steht. Doch zunächst ist man verblüfft und blockiert, da man nach richtigen Antworten und angemessenen Reaktionen sucht. Und wenn man etwas klarstellen will, dann ist man unversehens selbst Adressat/-in der herben Kritik, wird gar Opfer übler Beschimpfungen.
Stammtischparolen sind Behauptungen, die kein Wenn und Aber zulassen. Sie richten sich mit harten Urteilen gegen Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe, Lebensart, Religion oder sozialer Situation. Mit den Tiraden wird eine vielfache Frontstellung bezogen: Es wird gewettert gegen »Ausländer«, Asylanten«, »den Islam«, »Sozialschmarotzer«, »die da oben, die Politik machen«, »Schwule«, »Feministinnen« und so weiter. Letztendlich aber liegt dem ausufernden und meistens lauter werdenden Wortschwall immer dasselbe Muster zu Grunde: Es sind »die«. Die »anders« sind, eine andere Kultur, einen anderen Lebensentwurf, eine andere Herkunft, eine andere soziale Situation, eine andere sexuelle Präferenz haben.
Im Klartext geht es um ein autoritäres Politikverständnis, um Rassismus, Verharmlosung, mitunter auch Verklärung des Nationalsozialismus. Gesellschaftliche Minderheiten werden mit pauschalen Verunglimpfungen belegt. Es äußert sich der alltägliche Rechtspopulismus.
Warum nur ereifern sich Stammtischbrüder und -schwestern so? Was meinen sie verteidigen zu müssen? Die Gründe liegen einerseits in der Tiefe menschlicher Psyche, andererseits in den eingeübten sozialen Anpassungsleistungen: Das »Andere« wird als bedrohlich empfunden, die vermeintliche Stabilität eines ausbalancierten Lebens wird infrage gestellt.
Leicht ist es daher nicht, die Parolen auszuhebeln. Denn an deren Heftigkeit und Hartnäckigkeit sind tief und fest verwurzelte psychische Voraussetzungen beteiligt. Soziale Vorurteile spielen da eine Rolle. Sie sind im Laufe eines Lebens aufgebaut worden, mit ihnen hat man sich die Welt zurechtgelegt, wie sie passend erscheint. Aber gegen vorurteilsbeladene, autoritätsgestützte Ressentiments richten mit Vernunft vorgetragene Argumente zunächst einmal nicht viel aus. Und es bedarf einiges an Courage, um dagegenzuhalten. Nicht selten ist man alleine und sieht sich gleich mehreren dieser Sprücheklopfer gegenüber, die sich untereinander bestätigen und in der Heftigkeit ihrer Äußerungen wechselseitig hochschaukeln. Es sind Aggressionen im Spiel, die bekommen dann auch diejenigen ab, die widersprechen. Sie werden zu Stellvertretern für die, die gemeint sein sollen.
Trotz dieser Vorbehalte gibt es eine Reihe von guten Gründen, sich den Stammtischparolen nicht schweigend auszusetzen: Erstens ist es ein gutes Gefühl, den Mund aufgemacht und nicht schicksalsergeben dabeigesessen zu haben. Zweitens weiß man ja nie, ob nicht doch noch der Funke überspringt. Drittens gibt es die Unentschiedenen, Zuschauenden, Indifferenten und Dabeisitzenden.
Diese können durch einen authentischen, also echt und entschlossen wirkenden, Auftritt beeindruckt werden. Viertens kann man sich zivilen Mut antrainieren – und zwar indem man ihn praktisch erprobt. Fünftens gehören die öffentlichen Plätze in diesem Land nicht denjenigen, die lautstark und mit autoritärer Selbstgerechtigkeit die Kultur einer liberalen Demokratie niedertrampeln, letztendlich im eigentlichen Sinn des Wortes. Demokratie muss immer wieder aufs Neue vertreten und verteidigt
werden. Sechstens ist es ein Gebot der Humanität, Menschen in Schutz zu nehmen, die bedroht und bedrängt werden. Stammtischparolen fallen nicht sang- und klanglos in sich zusammen, sondern sie enthalten ein Gewaltpotenzial; von der verbalen Gewalt gibt es oft fließende Übergänge zur physischen Gewalt. Siebtens schließlich wird man ja – trotz mancher, auch hier zum Ausdruck gekommener Zweifel – noch weiter von der Kraft der Aufklärung und der Vernunft überzeugt sein dürfen. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass das Gespräch beziehungsweise die Auseinandersetzung Stunden oder auch Tage später noch seine Wirkung zeigt. Denn es beeindruckt, wenn jemand klar, entschieden und unbeirrt aufgetreten ist – gerade denjenigen kann man so imponieren, die sich hinter stark erscheinenden Sprüchen verstecken müssen.
Dabei müssen es nicht brillante, schlagfertige, höchst eloquente und mit aktuellen Fakten abgesicherte Widerworte oder Gegenreden sein. Das ist in der spontan auftretenden Situation auch nicht so ohne Weiteres zu leisten. Es reicht schon, wenn man einfach den Mund aufmacht, »Stopp« sagt und entschieden mitteilt, dass man das nicht hören will. Das gesagt zu haben, gibt schon einmal Mut. Im Laufe der Zeit wächst die Standhaftigkeit und mit ihr fallen differenziertere Antworten leichter. Dann kann man beispielsweise danach fragen, was wäre wenn der Gegenüber selbst Opfer von Wirtschaftskrisen oder Diktaturen würde und in einem anderen Land Zuflucht nehmen müsste. Dann kann man auch darauf verweisen, wie viele Anteile der reiche Westen an den wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen südlicher Länder hat. Dann wird man hartnäckig Antworten dazu erwarten, wie Lösungen der vorgegebenen Probleme aussehen. Und schließlich wird man auf eine Auskunft drängen, wo und wie »die Anderen« die eigene Lebenssituation tatsächlich verändern oder erschweren.
Letztendlich lohnt es sich für jeden und jede selbst. Denn es ist einfach ein besseres Gefühl, widersprochen, den Mut dazu gefunden zu haben, als einfach den Kopf einzuziehen und zu schweigen. Wer also den Stammtischparolen etwas entgegensetzt, belohnt auch sich selbst.
Von: Klaus-Peter Hufer, apl. Prof. Dr., ist außerplanmäßiger Professor an der Fakultät Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind politische Erwachsenenbildung in Theorie und Praxis. Dazu hat er zahlreiche Veröffentlichungen verfasst bzw. herausgegeben.