Die Kritik von Sami Kurteshi ist eindeutig. „Die Regierung ist nicht bereit, diesen Menschen ein würdiges Leben zu garantieren“, sagt der Ombudsmann des Kosovo. „Diese Menschen“ – das sind die rund 35.000 bis 40.000 Roma, die gemeinsam mit Ägyptern und Ashkali heute noch im Kosovo leben. Zwar ist Kurteshis Posten ein Amt ohne Schwert, doch das Recht, die kosovarischen Behörden für Missstände bei der Wahrung der Menschenrechte anzuprangern, lässt er sich nicht nehmen.
Dazu gibt es Grund genug, denn die Grundrechte der Roma sind in dem Zwei-Millionen-Einwohner-Staat lediglich auf dem Papier stark. So ist Rom auf lokaler Ebene als offizielle Sprache anerkannt, und im Parlament in Prishtina haben die politischen Vertreter dieser Minderheit, der vor der NATO-Intervention 1999 mehr als 100.000 Mitglieder angehörten, Anspruch auf mindestens einen von 120 Abgeordnetensitzen.
Im Gegensatz dazu steht die gesellschaftliche Marginalisierung der Roma in der seit Februar 2008 unabhängigen Republik Kosovo. So entwarf die Regierung zwar Ende 2008 eine Strategie zur Integration von Roma, Ashkali und Ägyptern. Aktionspläne aber wurden nie umgesetzt, monierte der Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Thomas Hammarberg. Während die offi zielle Arbeitslosigkeit bei rund 45 Prozent liegt, sind nach Angaben des Ombudsmannes 98 Prozent der Roma ohne Job. Ihre Unterkünfte: alte Lagerhallen wie in Leposavic an der Grenze zu Serbien oder schäbige Bretterverhaue ohne fl ießendes Wasser wie in Zvecan oder in den Lagern von Mitrovica.
Aus Angst vor Racheaktionen von Kosovo-Albanern – von denen viele die Roma für Verbündete der verhassten serbischen Minderheit halten – verließen im Sommer 1999 Tausende das Land Richtung Serbien, Montenegro, Mazedonien und Westeuropa. Einige Hundert fl ohen in kleine Enklaven im serbisch kontrollierten Norden des Landes. Um ihnen ein Mindestmaß an Schutz vor rassistischen Übergriffen zu sichern, wurden in Cesmin Lug, Zitkovac und Kablar notdürftig Lager eingerichtet. Da diese sich jedoch in der Nähe des früheren Bergwerks von Trepca befi nden, sind die Böden mit Blei verseucht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte deshalb bereits vor zehn Jahren eine Umsiedlung der Roma-Bevölkerung. Ende 2005 wurden Zitkovac und Kablar endlich geschlossen, erst im Oktober 2010 folgte Cesmin Lug. Hunderte Menschen aber wohnen weiterhin in unmittelbarer Nähe zu Trepca, in den Elendsvierteln von Osterode, ihre Blutwerte weisen eine überproportional hohe Bleikonzentration auf.
Bis heute hat die internationale Gemeinschaft, die das Protektorat bis zur Unabhängigkeit 2008 de facto regierte und heute mit der Eulex- Mission weiterhin maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklungen des Landes nimmt, keine Lösung für diese Familien gefunden.
Da Tausende Roma nicht über persönliche Dokumente verfügen, ist es ihnen kaum möglich, Zugang zu Sozialleistungen zu erlangen. So beginnt die Diskriminierung schon mit der Geburt: Mehr als 14 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren sind Unicef zufolge ohne Geburtsurkunde. Thomas Hammarberg fordert deshalb eine breit angelegte zivile Registrierungskampagne für die Roma. Wie Ombudsmann Kurteshi bezeichnet er ihre Lage als unwürdig – Abschiebungen aus West- und Nordeuropa hält er für gefährlich: „Dieser junge, fragile Staat ist nicht darauf vorbereitet, Rückkehrer in solchen Größenordnungen aufzunehmen.
Selbst das in der Unabhängigkeitsverfassung verankerte Recht auf Bildung kann der neue Staat nicht garantieren. Unterricht in Rom gibt es nicht, und nur wenige Roma- Kinder sprechen Albanisch oder Serbisch. Unicef-Schätzungen zufolge besuchten zuletzt weniger als 5.000 Roma, Ägytper und Ashkali regelmäßig den Unterricht – gerade einmal 1,1 Prozent der Schülerschaft. Noch deprimierender: Lediglich 1,4 Prozent der Roma-Schüler schließen eine höhere Schule ab. Wohin das führt, zeigt eine Unicef-Untersuchung: Fast zwei Drittel der Roma-Kinder leben demnach in absoluter, 30,5 Prozent in extremer Armut.
Karl Tachser, Auslandskorrespondent mit Schwerpunkt Südosteuropa.