„Nur wer sich mit den Tätern auseinandersetzt, kann eine Wiederholung verhindern.“ Über die Bedeutung von Täterorten in Deutschland. Ein Gespräch mit Dr. Thomas Lutz vom Dokumentationszentrum und Erinnerungsort "Topografie des Terrors".
zeichen: Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Täterort“?
Thomas Lutz: Darunter versteht man Orte, an denen die NSVerbrechen geplant, vorbereitet und verwaltet wurden, wie zum Beispiel das „Haus der Wannseekonferenz“ oder die „Topographie des Terrors“, also die Zentrale von Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt.
Was unterscheidet Täterorte von Konzentrationslagern?
In einem Konzentrationslager und anderen Mordstätten gab es natürlich auch Täter_innen, Konzentrationslager waren Tatorte. Die Leichen wurden zumeist vor Ort verscharrt oder verbrannt und die Asche auf dem Gelände verteilt. Von daher sind diese Orte Friedhöfe, an denen das Gedenken, die gesellschaftliche Anerkennung der Opfer einen viel größeren Stellenwert haben als an den „Täterorten“.
Was steht an einem Ort wie der „Topographie des Terrors“ im Vordergrund?
Die NS-Verbrechen. Sowohl die Täter_innen, als auch die Gruppen von Menschen, die von ihnen verfolgt worden sind, werden erklärt. Zugleich werden die Taten immer aus der Perspektive der Menschen, die unter den Verbrechen gelitten haben, dargestellt. Sich mit den Täter_innen zu beschäftigen, ist eine große Herausforderung auch für die Nachfolge-Gesellschaft, weil damit das gesellschaftliche Selbstverständnis kritisch hinterfragt wird. Wir fragen nach den Strukturen, in denen sich die Verbrechen entwickelt haben, und wer verantwortlich dafür war, dass es so viele Opfer gab. Was waren die ideologischen Grundlagen? Warum ist die SS so bedeutend geworden? Wie war das Verhältnis zwischen den Staatsorganen und der Parteiorganisation?
Warum ist es so wichtig die Strukturen darzustellen?
Auf der Täterseite liegt das Wiederholungsrisiko. Das Täterhandeln war arbeitsteilig, eine wichtige Ursache, warum es so gut funktioniert hat. Nur deshalb haben sich viele Menschen an dem Verbrechen beteiligt und konnten sich zugleich damit rechtfertigen: „Ich war nur ein kleines Rädchen im Getriebe“.
Wie bringen Sie dieses System den Besucher_innen näher?
Da reichen ein SS-Dolch oder eine schwarze Uniform nicht aus. In den Zentralen der SS und des Sicherheitsdienstes saß quasi die „Managerebene“. Museologisch schwierig ist es, den Weg von dem Handeln in der Verwaltung zu dem Massenverbrechen anschaulich und sensibel zu präsentieren. In einer Kombination aus Bildern, Dokumenten und historischen Texten versuchen wir deutlich zu machen, dass diese deutschen Männer ab 1933 die Freiheit und die Möglichkeiten hatten, ihre Elitevorstellungen in einen Massenmord umzusetzen. Dieser Zusammenhang regt die Besucher_innen meiner Erfahrung nach sehr zum Nachdenken an.
Die Topographie des Terrors ist Ihr täglicher Arbeitsplatz. Was verstört Sie am meisten?
Mich irritiert immer noch, wie schnell der Umschlag von einer schwach ausgebildeten Weimarer Demokratie zum Nationalsozialismus und dann wieder zurück in eine demokratische Staatsform funktioniert hat. Wie diese Menschen, die im Nationalsozialismus Täter_innen waren, sich in unserer westdeutschen demokratischen Nachkriegsgesellschaft wieder sehr gut eingepasst und funktioniert haben. Die Nähe von Demokratie und Diktatur verstört mich immer wieder aufs Neue.
Was für Täter_innengruppen lassen sich noch durch Gedenk und Dokumentationsorte aufzeigen?
Die verschiedenen Orte verweisen auf eine jeweils andere Täter_ innengruppe. Die Täterschaft in einem Konzentrationslager ist eine andere als in „Euthanasie“-Anstalten, als in Kriegsgefangenenlagern oder in Justizvollzugsanstalten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte in dem Bildungsangebot. In der Villa ten Hompel in Münster, einem Sitz der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus, können gut Seminare für heutige Polizeibeamt_ innen stattfinden. Bei dem Nürnberger Parteitagsgelände steht die NSDAP-Propaganda im Mittelpunkt: Hier macht es mehr Sinn, über die Bedeutung der „Volksgemeinschaft“ aufzuklären.
Insgesamt gibt es sehr hohe Besucherzahlen an Täterorten.Zieht eine Art Grusel- oder Sensationsfaktor die Besucher an?
In allen Gedenkstätten steigen die Besucherzahlen, vor allem durch internationale Besucherinnen und Besucher. Wir wissen nicht, ob sie auf einen Grusel- oder Sensationseffekt hoffen. Aber der wird in der Topographie nicht erfüllt. Ich beobachte immer wieder Leute, die vom Potsdamer Platz kommen, vermutlich anschließend zum Checkpoint Charlie gehen, und sich dazwischen für eine gute Stunde ruhig und konzentriert unserer Ausstellung widmen.
Das Interview führte Karl Grünberg.
Gespräch mit: Dr. Thomas Lutz, Jahrgang 1957, ASF-Freiwilliger von 1983 bis 1985 in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Heute ist er Leiter des Gedenkstättenreferats der Stiftung Topographie des Terrors und Mitglied des Kuratoriums von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.