Schlacht der Patrioten

In seinem Gastbeitrag berichtet der ukrainische Journalist
und Gewerkschaftsaktivist Orest Tsebrij über die Partei „Swoboda“, die
mit rechtsnationalen Parolen Stimmung gegen Minderheiten macht und
damit Erfolg hat.

Der Überfall fand am 20. April 2012 in Kiew statt. Gewerkschaftler und Studentenführer Andrej Mowtschan war gerade auf dem Weg zu einem der größten ukrainischen Fernsehsender. In einer Talkrunde sollte er über Linke in der Ukraine sprechen. Der Mittzwanziger hatte dazu sein bestes weißes Hemd angezogen, doch zu sehen bekamen ihnen die Studiogäste und anwesenden Journalisten blutüberströmt. „Ich wurde von sechs Neonazis angegriffen. Sie kamen von hinten, traten und schlugen mich“, erklärte Orest Tsebrij seinen Zustand. Die Wunden am Kopf stammten von einem Schlagring und mussten genäht werden. Die Täter konnten sofort identifiziert werden. Einer von ihnen beteiligte sich bereits zuvor an Angriffen auf Linke und Bürgerrechtler, ein anderer steht in Verbindung zur rechtsradikalen Partei „Swoboda“, der Rest waren rechtsradikale Hooligans und Anhänger des Fußballvereins „Dynamo Kiew“.

Von der Randerscheinung zur bedeutenden politischen Kraft

Die Verbindung zwischen rechtsradikalen Schlägern und der Partei „Swoboda“ (Freiheit) ist kein Zufall. Bis 2004 hieß die Partei noch „Sozialnationale Partei der Ukraine“ und fristete mit ihren nationalsozialistischen Parolen ein unbedeutendes Dasein. Mit der „Orangenen Revolution“ und unter der Leitung ihres einzigen Parlamentsabgeordneten Oleg Tjagnibok begann eine Phase der Neuorientierung. Mit finanzieller Unterstützung und der Erweiterung ihres Bekanntheitsgrades gelang der neuen „Freiheitspartei“ ein Wandel zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft. So ist die Partei in den Regionalparlamenten der Westukraine zahlreich und in bedeutender Stärke vertreten. In Lemberg, Austragungsort einiger Spiele der Fußballeuropa- Meisterschaft 2012, ist sie sogar stärkste Kraft im Regionalparlament. Bei den kommenden Wahlen könnte sie es sogar in das ukrainische Parlament schaffen. Doch wie kam es dazu, dass die ukrainische Bevölkerung nach der „Orangenen Revolution“ sich für nationale und rechtsradikale Parolen öffnete? Der vormalige Präsident Viktor Juschtschenko, der 2005 dank der Protestwelle während der „Orangenen Revolution“ an die Macht kam, stand für einen nationalistischen Politikstil. Während seiner Präsidentschaft hat sich an der sozialen Lage der ukrainischen Bevölkerung nur wenig geändert, stattdessen leistete er einem Hurra-Patriotismus Vorschub, mit dem er die anhaltenden politischen Erschütterungen überdecken wollte. Das blieb nicht ohne Folgen: Es folgte einen Anstieg rassistischer Gewalt gegen Migrant_innen und politisch Andersdenkende.

Nationale Rhetorik etablierter Parteien

Eine deutliche Verschärfung der nationalistischen Töne geschah aber während des Präsidentenwahlkampfes im Jahr 2009. Sowohl der damalige Oppositionspolitiker Viktor Janukowitsch von der „Partei der Regionen“ als auch Julija Tymoschenko, die Jeanne d‘Arc der „Orangenen Revolution“, griffen im Wahlkampf sowohl auf die Strukturen rechtsgesinnter Kräfte als auch auf nationalistische Rhetorik zurück. Zwar konnte Viktor Janukowitsch die Wahl zum Präsidenten in einer letzten Stichwahl am 7. Februar 2010 für sich entscheiden, doch die wahren Sieger in dieser „Schlacht der Patrioten“ waren die Radikalen. Das hatte zur Folge, dass sich die Partei „Swoboda“ einen festen Platz im nationalen Wählerspektrum erobern konnte.

Wie der Einfluss der Partei wächst, zeigt auch eine Medienanalyse von Andreas Umland, der zum Thema Rechtsextremismus in der Ukraine forscht. Der Politologe stellte fest, dass der Partei „Swoboda“ und ihrem Parlamentsabgeordneten Oleg Tjagnibok überproportional viel Sendezeit in führenden ukrainischen Medien eingeräumt wird.

Gewalt als Strategie

Derzeit bereiten sich Anhänger der Partei „Swoboda“ auf ihren Einzug in das ukrainische Parlament nach den kommenden Wahlen im Herbst vor. Dabei scheuen die „Swoboda“-Anführer – trotz ihres Bemühens um Anerkennung als respektable politische Partei – nicht vor Gewaltaufrufen und Angriffen auf Migrant_innen zurück. So beteiligen sich Mitglieder der Jugendbewegung der Partei am täglichen Straßenterror gegen Minderheiten und politische Gegner_innen. Ein Beispiel, das auch international für Aufsehen gesorgt hat, ist die teilweise gewaltvolle Kampagne gegen das „Zentrum für visuelle Kultur“ der Kiew-Mohyla-Akademie. Der Präsident der Akademie, Sergej Kwit, der in der Vergangenheit sein rechtsnationales Ansinnen offen vertrat und dabei Kontakte zu paramilitärischen nationalistischen Vereinigungen pflegte, verhinderte erst eine Ausstellung und schloss das Zentrum kurzerhand im April 2012. Zuvor griffen Rechtsradikale Veranstaltungen und Besucher des Zentrums gewaltsam an.

„Wir beobachten einen rasanten Anstieg von Gewalt, die von Neonazigruppen ausgeht“, berichten antifaschistische Initiativen. Einerseits gäbe es Straßenterror und andererseits versuchten die Anführer der „Swoboda“ ihre Ideologien vor laufenden Fernsehkameras zu verbreiten – das sei eine politische Strategie, so die Aktivisten, die selber nur anonym auftreten wollen, um sich und ihre Arbeit nicht zu gefährden. Die Auseinandersetzungen um eine Demonstration am 20. Mai 2012 in Kiew sind eine Paradebeispiel für das Zusammenwirken von Straßenterror und medienwirksame politische Statements. Knapp 200 Menschen hatten sich versammelt, um gegen Homophobie zu demonstrieren.

Doch die Polizei konnte der aggressiven Menge aus über 1000 Gegendemonstranten nichts entgegen setzen. Die Demonstration musste von den Veranstaltern aus Angst um das Leben und die Gesundheit der Teilnehmer_innen abgesagt werden. Das ist keineswegs übertrieben. Während der Pressekonferenz erfolgte vor laufenden Fernsehkameras ein brutaler, gewalttätiger Angriff auf die Veranstalter. Als Organisator der Gegenproteste gilt der Anführer gewaltbereiter Neonazigruppen und „Swoboda-Angehörige“ Jewgenij Karas.

Gewalt und Hetze gegen Minderheiten

„Am schlimmsten ist aber, dass die Staatsorgane oder Strafverfolgungsbehörden die Angriffe auf die schwul-lesbische Community nicht verurteilen“, machte der „Kongress der nationalen Gemeinschaften der Ukraine“ in einem offiziellen Statement klar. Dieser setzt sich für die Integration nationaler Minderheiten in die ukrainische Gesellschaft ein. Der Kongress beobachtet mit Sorge, dass die Xenophobie in der Ukraine sich immer stärker verbreitet. Diskriminierung, Gewalt und Hass gegen Minderheiten kommen immer stärker in der Mitte der Gesellschaft an, so der Kongress. Die wohl am stärksten diskriminierte Minderheit sind Roma, denen die ukrainische Gesellschaft mit Ablehnung begegnet.

In der Ukraine gibt es keine nennenswerten zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich gegen die anwachsenden minderheitenfeindlichen Stimmungen stellt. Auch der Staat strengt sich nicht sonderlich an, wenigsten den gewalttätigen Neonazistrukturen Einhalt zu gebieten. Jüngst löste das Innenministerium die für die Strafverfolgung von Vergehen gegen den Paragrafen 161 – Verstoß gegen die Gleichstellung der Bürger hinsichtlich ihrer Herkunft und Religionszugehörigkeit – zuständige Unterabteilung bei der Kriminalpolizei auf. Eine positive Entwicklung ist leider nicht in Sicht, auch nicht zurzeit der Fußballeuropameisterschaft.

Allein ausländische Medien berichten kritisch über die Entwicklungen in der Ukraine, was vielleicht zu einer Umkehr im Denken von Seiten der staatlich Verantwortlichen führt.

Autor: Orest Tsebrij, Journalist und Gewerkschaftsaktivist, kommt aus Kiew in der Ukraine.

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