Weltpolitik auf der persönlichen Ebene

Züge von Kiew auf die Krim fahren zwar, aber momentan werden dafür keine Zugtickets verkauft.

Züge von Kiew auf die Krim fahren zwar, aber momentan werden dafür keine Zugtickets verkauft.

Sonne und Meer, Lachen mit Angela, Bratkartoffeln von Maria, Diskussionen mit Sasha und Strandspaziergänge mit Julia. So stellten Inga und ich uns unsere 'Reunion' mit Freund_innen aus unserer Freiwilligenzeit auf der Krim vor.

Als wir Ende letzten Jahres für die zweite Märzwoche Tickets buchten, gab es zwar schon Proteste auf dem Maidan in Kiev, es gab aber noch keine Scharfschützen, keine hundert Toten und keine pro-russischen paramilitärischen Einheiten auf der Krim.

Die letzten Tage vor unserer geplanten Abreise waren geprägt von Unentschlossenheit und Reisevorbereitungen in ein „Krisengebiet“: Wir checkten Hinweise des Auswärtigen Amtes, holten uns Einschätzungen von Freund_innen vor Ort ein und telefonierten mit Freund_innen und Verwandten über die Gefährlichkeit einer möglichen Reise. Parallel checkten wir immer wieder diverse Liveticker im Internet – auf der Arbeit, in der Bibliothek und auch noch abends vor dem Schlafengehen. Warum? Wir hofften vielleicht, dass es vor unserer Abfahrt doch noch eine für alle Beteiligten annehmbare politische Lösung geben würde. Und ich hatte die Idee, dass ich jemanden auf den vielen Fotos kennen könnte.

Jakob Stürmann begleitete ehemalige NS-Zwangsarbeiter während seines Freiwilligendienstes in Simferopol auf der Krim.

Der Bruch geht durch ganze Familien

Die Meinungen, die mich von Freund_innen auf der Krim erreichen, sind so unterschiedlich wie die Fernsehberichte in Russland und Deutschland. Einer freut sich darauf, dass die Krim ein Teil Russlands wird, um den von ihm empfundenen Minderheitenstatus loszuwerden und den „Verbrechern“ in Kiev keine Steuern mehr zahlen zu müssen. Eine andere nimmt die Präsenz der paramilitärischen Einheiten als Okkupation wahr. Sie kämpft in friedlicher Form verzweifelt gegen eine auf großer politischer Bühne beschlossene Entscheidung an.

Die Diskussion scheint überall präsent zu sein. Bei einem Bekannten wohnt ein Journalist, eine Freundin agiert als Übersetzerin für Journalist_innen. Die Meinungsunterschiede führen gar zu Brüchen innerhalb einer Familie. Da ist beispielsweise eine pro-ukrainische Freundin, deren Vater sowjetischer Kriegsveteran ist und sich darauf freut, seine letzten Lebensjahre auf russischem Staatsgebiet zu verbringen. Ich frage mich oft, was die aktuelle Situation mit den Menschen macht, wie es meinen Freund_innen wirklich geht und ob ethnische Konflikte bald wieder gewalttätig ausgetragen werden. Wie wird sich die Krim in den nächsten zehn Jahren verändern?

Inga und ich haben uns für einen Urlaub in Kiev entschieden. Wir hoffen nun auf einen Besuch auf der Krim im Sommer, unsere Freund_innen erreichen wir momentan nur telefonisch. Die nicht einschätzbare Reaktion der bewaffneten paramilitärischen Kontrolleinheiten auf zwei Menschen mit deutschem Pass hielt uns von einer Weiterfahrt ab. Einen Tag nach unserer Ankunft in Kiev wurden laut deutschen Medienberichten vorläufig alle Zugverbindungen von Kiev auf die Krim eingestellt und wir fühlen uns in unserer schwierigen Entscheidung bestätigt. Es bleibt weiterhin die Hoffnung auf eine friedliche Konfliktlösung und Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Lage. Die Entwicklungen auf der Krim und in der ganzen Ukraine werden uns sicherlich auch in den nächsten zehn Jahren weiter beschäftigen.

Jakob Stürmann war 2004-06 Freiwilliger im Projekt „Nash Dom“ in Simferopol/ Ukraine und studierte anschließend Geschichte, Gender Studies und Osteuropastudien. Er arbeitet als studentischer Mitarbeiter für Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und promoviert an der Freien Universität in Berlin.

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