Der besondere Widerstand der Polen – ein Gespräch mit Basil Kerski, Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig
Denkmal des Warschauer Aufstandes
Zeichen: Was zeichnete den Widerstand in Polen gegen die nationalsozialistische Besatzung aus?
Polen schafften es, einen„Untergrundstaat“ aufzubauen. Dabei halfen ihnen die langen Widerstandstraditionen, die sie in den 120 Jahren der Teilung Polens bis 1918 gesammelt hatten.
Wie sah der „Untergrundstaat“ aus?
Der Untergrundstaat bestand aus der „Heimatarmee“ mit circa 350.000 Mitgliedern, die den militärischen Widerstand führten, Sabotage und Spionage betrieben, und aus den Strukturen einer eigenen Staatlichkeit. Diese umfasste Gerichtswesen und Polizei, Schulen und Universitäten, Verlagsstrukturen und ein Sozial- und Fürsorgewesen. Die Exil-Regierung saß in London. Es gab auch noch kommunistische und nationalistische Widerstandsgruppen.
Warum wurde so viel Kraft in Untergrund-Schulen gesteckt, wenn das Land besetzt war?
Die Nationalsozialisten führten eine brutale Besatzungspolitik. Ihr Ziel: Die Vernichtung des polnischen Judentums. Und: Die Zerstörung der „polnischen Intelligenz“. Allein in den ersten Monaten wurden 60.000 Angehörige der polnischen Führungsschicht ermordet. In den von Stalin besetzten Gebieten passierte ähnliches. Schulen und Universitäten, höhere Kultur, Fußballspiele wurden verboten – die polnische Nation sollte aufhören zu existieren. Dagegen wehrte sich der „Untergrundstaat“. Die junge Generation sollte weiterlernen und ihre polnische Identität bewahren.
Auf welche Werte berief sich der polnische Untergrundstaat?
Auf eine christliche Wertegemeinschaft, die von Hitler und Stalin in Frage gestellt wurde. Dann sahen sie im Widerstand eine zivilisatorische Herausforderung, in dem sie eine europäische Nation gegen zwei totalitäre Regime verteidigten. Schließlich der Wunsch, die eigene Staatlichkeit aufrecht zu erhalten. Nach 1945 stand man trotz aller Bemühungen nicht mit einem freien Polen da. Das war tragisch. Die Deutschen waren weg, dafür waren die sowjetischen Besatzer da, die die führenden Mitglieder des Untergrundstaates verhaften und auch töten ließen.
Wie wurde nach 1945 die Geschichte des Widerstandes erzählt?
Vor 1956 und dem Ende der Ära Stalin wurde die Geschichte des Widerstandes negiert. Erzählt wurde ausschließlich der Widerstand der kommunistischen Gruppe. Andere Erzähler hatten zu schweigen oder schwiegen von selbst, weil sie ein normales Leben wollten. Wie in Deutschland die Täter schwiegen, schwiegen in Polen die Widerständler.
Oder sie wurden verfolgt.
Ein bekanntes Beispiel ist Władysław Bartoszewski. Er war im Widerstand und im Auftrag des Untergrundstaates an der Rettung tausender Juden beteiligt, war in Auschwitz gefangen und nahm schließlich am Warschauer Aufstand teil. Doch nach 1945 wurde er im kommunistischen Polen wieder verhaftet und verbrachte sechs Jahre im Gefängnis.
1980 war Bartoszewski führender Kopf der Solidarność- Bewegung.
Und hier wird es spannend. Bartoszewski und andere sahen sich in der Tradition des Widerstands gegen die Nationalsozialisten. Ein Grund, warum Solidarność immer gewaltfrei blieb, war das Erbe des Warschauer Aufstandes gegen die deutschen Besatzer von 1944. 170.000 starben dabei, die meisten Zivilisten. Kritiker sagen, dass diese Toten nicht hätten sein müssen. Das wollte man 35 Jahre später nicht wiederholen. Hier verzahnen sich die Widerstandskulturen und -debatten über die Generationen hinweg.
Was gibt es heute noch davon?
Man ist stolz auf den polnischen Widerstand, der uns Polen als Nation eine Tradition gibt. Heute sind die vielen Aufstände Teil der Erinnerung geworden, mit eigenen institutionalisierten Erinnerungsorten: das Museum des Warschauer Aufstandes von 1944, das Museum der Geschichte polnischer Juden in Warschau und das Europäische Solidarność-Zentrum in Danzig.
Es gibt den Vorwurf, die neue PiS-Regierung würde die Demokratie in Polen abschaffen, gleichzeitig wächst der bürgerliche Widerstand auf der Straße.
Seit 1989 hatte keine Partei soviel Macht auf einmal. Die PiS hat die absolute Mehrheit in beiden Kammern und das Amt des Präsidenten. Aber: 15 von 16 Regionalregierungen sind nicht in PiS-Hand, wie auch die meisten Metropolen (Warschau, Krakau, Posen, Breslau oder Danzig und Stettin). Es ist ein wichtiger Test für die polnische Demokratie. Die Demonstrationen sind aber keine neuen Formen des Widerstands, sondern Ausdruck lebendiger Demokratie. Die Bürger interessieren sich wieder für Politik, verteidigen die liberale Demokratie, ihre Bürgerrechte.
Ein Gespräch mit Basil Kerski, Jahrgang 1969, Chefredakteur des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG und Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig, lebt in Berlin und Danzig.