Yad Vashem, die Juden und
der Widerstand

Leise oder laut, mit der Waffe oder im Versteck. Der jüdische Widerstand hatte viele Facetten, wie die Freiwillige Emily Philippi in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem herausfindet

Ungefähr 1.500.000 Juden kämpften gegen die Nationalsozialisten: als alliierte Soldaten, als Partisanen, in den Widerstandsbewegungen und in den Ghettos.

Ungefähr 1.500.000 Juden kämpften gegen die Nationalsozialisten: als alliierte Soldaten, als Partisanen, in den Widerstandsbewegungen und in den Ghettos. Dieses Denkmal in Yad Vashem ist den Hunderttausenden gewidmet, die in diesem Kampf ihr Leben verloren.

"Pillar of Heroism" oder "Säule des Mutes" - Dieses den Schornsteinen der Vernichtungslager nachempfundene Mahnmal erinnert an den jüdischen Widerstand.

Widerstand ist mehr als ein Begriff

Wenn man in Israel über angemessenes Gedenken an die Schoa redet, wird es kritisch. Wenn man über Widerstand redet auch. Kritisch ist es, zu fragen: Welche Sprache braucht es? Welche Pädagogik? Welche Kunst? Was muss noch ausdiskutiert werden? Und was ist geschmacklos?

In der Debatte um den Widerstand kann es passieren und ist es passiert, dass Menschen beleidigt werden und ungerechte Aussagen gemacht werden. Aber katastrophaler wäre es, diese Debatte nicht zu führen und Klischees stehen zulassen, die einhergehen mit der Grausamkeit, die mit der Einteilung in Märtyrer und „einfach nur“ Opfer produziert wird.

Juden streiten gerne: „The Jewish people would be endangered by unity. The quarrels and disputes are the engine that drives its culture forward, backward or sideways“, wie der israelische Historiker Yehuda Bauer 2013 in der Tageszeitung Haaretz sagte. Die Diskussion über den Widerstand brennt auch bei Yad Vashem. Das kriege sogar ich mit, eine deutsche Außenstehende und doch verknüpfte Museumsbesucherin.

Der Vorwurf, ein Schaf zu sein

Abba Kovner sagte: „Lasst Euch nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank führen!" Damit hatte der Poet, der zur Kernzelle des Widerstands im Ghetto Wilna gehörte, eine Formulierung entworfen, die bis heute jüdische (und nichtjüdische) Reflektionen beschäftigt.

Später brachte Hannah Arendt den „Schlachtbank-Vorwurf“ erneut auf. Besonders die Zionisten unterstellten den Opfern der Schoa Schwäche, Assimilation und Feigheit. So entstanden vielfach Bilder und Vorstellungen von Juden, die wehrlos ins Gas gehen. Viele tausende Menschen, nur von ein paar Männern bewacht.

Wohlgemerkt: Es ist ein großer Unterschied, wenn Abba Kovner 1942 zu Widerstand auffordert und wenn viele Jahre später jemand, der vielleicht nicht dabei gewesen ist, fragt: Aber warum habt ihr denn nicht?

„Die Schlachtbank“ ist eine Formulierung, die zum ersten Mal von jüdischer Seite verwendet wurde. Diese Tatsache ist mitunter ein Zeichen dafür, dass es sich bei diesem Vorwurf vor allem um eine jüdische Identitätsfrage handelt, die innerhalb des Judentums eine eigene Bedeutung hat. Das jüdische Selbstverständnis heute ist nicht ohne den Holocaust zu denken und ist verknüpft mit der jüdischen Reaktion auf den Holocaust.

Partisanen und bewaffneter Widerstand

1,5 Millionen Juden kämpften als Soldaten in den alliierten Armeen oder als Partisanen. In Polen gab es 28 jüdische Partisaneneinheiten und 13 Einheiten mit jüdischer Beteiligung. Oft arbeiteten Juden und Nichtjuden gemeinsam im Kampf gegen die Deutschen. So kämpften im Oktober 1944 im Tatragebirge 2.000 jüdische und 15.000 nichtjüdische Partisanen gemeinsam an der polnischen Front.

Die Gruppen arbeiteten auf den ersten Blick für verschiedene Ziele. „Es ist wichtiger, Juden zu retten als Deutsche zu töten“, sagte Tuvia Bielski, der eine jüdische Partisanengruppe in Polen anführte, mit der 1.200 Menschen überlebten. Ihre Strategie: Die Gruppe versteckte sich im Wald, vermied jeden Kontakt und jede Gewalt, die nicht zum Überleben notwendig war.

Vitka Kempner aus Wilna dagegen erzählte: „Wir haben niemals im Sinne von Rettung und Überleben gedacht, sondern an eine der Zeit entsprechende jüdische Antwort.“ In der Konsequenz hieß das Ziel der jungen Frau und ihrer Organisation, Deutsche zu töten und ihnen aussagekräftigen Schaden zu zufügen. Doch auch die Wilnaer Gruppe war sehr darauf bedacht, mit ihren Aktionen das Leben der Menschen im Ghetto so wenig wie möglich zu gefährden. Denn ein getöteter Deutscher bedeutete in der Folge meist ein Vergeltungsmassaker mit hunderten von getöteten Juden. Diese Tatsache muss immer bedacht werden, bevor vermeintlich widerstandslose Handlungen beurteilt werden. Auch die Frage nach den Rollen der Judenräte, die für die Unterbindung von Widerstand bekannt und stigmatisiert wurden, darf nicht allein vom Ausgang der Ereignisse her beurteilt werden. Die Entscheidung für ein Verhalten, das nach Kollaboration mit den Deutschen aussehen mochte, war nicht selten mit der taktischen Hoffnung begründet, viele Leben retten zu wollen. Eine Analyse der einzelnen Motivationen ist deshalb notwendig.

Leben, ohne innerlich zu sterben

Denkmäler werden den Kämpfern gewidmet. Doch unzählige Überlebenskämpfe spielten sich ohne sichtbare Waffe ab. So ist bemerkenswert, was Berichte aus den Ghettos und Lagern vom jüdischen Leben in schlimmster Bedrängnis erzählen. Im Warschauer Ghetto lebte die Kultur, es gab Schulen, Konzerte, Theater, die die Menschen organisierten. Auch noch in den Todeslagern wurden Lieder gesungen, Gebete gesprochen, Witze erzählt und Freundschaften gelebt. Zeugenberichte betonen die Verknüpfung von Kunst, Widerstand und Überlebenswille. Ludvík Henych, ein Überlebender aus Dachau, äußerte: „Wir Häftlinge hätten niemals die Tage und Jahre in der Hölle der Gefängnisse und Konzentrationslager überleben können, wenn wir unsere Gedanken von den Grausamkeiten nicht hätten abwenden können."

Wenn Israel gedenkt

Ich habe in Israel viele Antworten auf die Widerstandsfrage gefunden. Antworten, die sich streiten. Jedes Zeugnis, das in Yad Vashem veröffentlicht ist, erzählt von Mut, Liebe und Überleben. Damit zeugt jeder Überlebende von Widerstand. Yad Vashem ist ein Ort, wo Überlebende der Schoa sprechen sollen. Gerade in den letzten Jahren, mit Entwicklung der International School for Holocaust Studies und des neuen Museums, ist dieser pädagogische Schwerpunkt ins Zentrum gerückt. Idealerweise sollte das Wort als erstes denen gehören, die dabei waren. Aber selbst wenn alle Zeugnisse gehört, alle Nachrichten für die Nachwelt gesammelt wurden, sind noch viele Themen unerforscht, Vorgänge erst im Ansatz analysiert. In der damaligen jüdischen Reaktion auf die Schoa zeigte sich jüdische Tradition. Der Historiker Yehuda Bauer betont in seinen Büchern, wie Tradition einer Gruppe hilft, schwere Zeiten zu durchstehen. Jüdische Tradition hatte Bezug zu allen Arten des Widerstands. Auch wenn dieser, wie es oft der Fall war, von Gruppen oder Einzelpersonen ausging, die sich selbst nicht als religiös bezeichneten.

Kulturelle Traditionen sind, wie Bauer sagt, keine Fossilien, sondern „wertvolle Besitztümer, die vielleicht den Unterschied machen bei der Wahl zwischen Leben und Tod.“ Der Holocaust, der Widerstand und wie man sich dazu und danach verhält, sind Fragen, die in Yad Vashem mit dem Gedenken mitgedacht werden. Sie führen zu neuer Religiösität und Religionskritik, zu Zionismus und Hinterfragung desselben. Es handelt sich um fundamentale Fragen an Religion, Politik und an das Jüdischsein überhaupt. Es gibt nicht nur eine Antwort. Die Diskussion hat erst begonnen.

Emily Philippi, Jahrgang 1997, ist Freiwillige in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

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