Vor 40 Jahren: ASF und die Demonstration im Bonner Hofgarten

Ein Interview mit Gabriele und Peter Scherle zu ihren Erinnerungen an die Friedensdemonstration am 10. Oktober 1981

Jutta Weduwen: Vor 40 Jahren fand am 10. Oktober 1981 die große Friedensdemonstration unter dem Motto »Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen!« statt. Die Demo, zu der 300.000 Menschen kamen, wurde von ASF und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) initiiert und organisiert. Was war die besondere Rolle von ASF?

Gabriele Scherle: Die Demonstration im Bonner Hofgarten war Höhepunkt und politische Zuspitzung der Friedensbewegung, die sich in den späten 1970er-Jahren formiert hatte. Dass es zu dieser bis dahin größten Demonstration in der Geschichte der Bundesrepublik gekommen war, hatte viele Gründe. Zentral war ganz sicher, dass sich im ganzen Land Friedensinitiativen gegründet hatten. Dem niederländischen Vorbild folgend wurde eine nationale Friedenswoche zur Bündelung der Anliegen ins Leben gerufen. Die Initiative dazu ging von der ASF aus, die durch die Freiwilligenarbeit enge Kontakte mit dem IKV, dem interkirchlichen Friedens-rat in Holland, hatte. Überhaupt spielten die Erfahrungen der Freiwilligen von ASF eine große Rolle. So konnte die Friedenswochen-abteilung von ASF zum Beispiel auch von den Erfahrungen der amerikanischen Farm Workers Union lernen.

Peter Scherle: Die ASF konnte nicht nur eine Friedenswochenabteilung aufbauen, sondern auch auf ein Netzwerk ehemaliger Freiwilliger zählen, die sich überall im Land politisch einbrachten. So wurde die ASF zu einer der wichtigsten Trägerorganisationen der Friedensbewegung. Das schlug sich auch in ihrer Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration in Bonn nieder. Volkmar Deile als Geschäftsführer und Gabriele Scherle als Mitglied des Vorstands moderierten auf der Bühne im Bonner Hofgarten. Hintergrund der Demonstration war die Sorge vor einem möglichen Atomkrieg in Europa, der durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen – den SS 20 aufseiten des Warschauer Pakts und den Pershing II und Cruise Missiles aufseiten der NATO – riskiert wurde. Ziel war es, die sogenannte Nachrüstung der NATO zu verhindern, um durch eine einseitige Vorleistung zu einer Politik des Vertrauens und der Entspannung zurückzukehren.

Wie waren die politischen Reaktionen auf die Demo, wie war die gesamtgesellschaftliche Stimmung?

Gabriele Scherle: Die Demo hat einen tiefen Eindruck hinterlassen. Kaum jemand hatte erwartet, dass es – in den Jahren nach dem RAF-Terror und den teilweise heftigen Auseinandersetzungen über Atomkraftanlagen – gelingen könnte, mit 300.000 Menschen friedlich und dennoch politisch akzentuiert zu demonstrieren. Das Anliegen hatte auch in den Medien die damals größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Zwar wurde das politische Ziel nicht erreicht, die Nachrüstung zu verhindern. Aber der öffentliche Druck veränderte das politische Klima. Politische Verhandlungen verringerten das Risiko eines automatisierten Atomschlags und konnten die Rüstungsspirale im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) auffangen.

Welche besondere Erinnerung habt ihr an die Demonstration?

Gabriele Scherle: Es war die gewaltige Kraft, die von dieser Menschenmenge ausging. Unsere ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, dass diese Kraft auf das politische Anliegen konzentriert blieb und sich in den Reden auf der Bühne bündeln konnte. Am stärksten war die Erleichterung darüber, dass alles gut ging. Es waren ja Monate der Vorbereitung notwendig. Das betrifft die elementaren organisatorischen Fragen, aber auch die politischen Aushandlungsprozesse unter den veranstaltenden Organisationen. Da ging es mitunter hart zu, da auch versucht wurde, die Demo ideologisch zu instrumentalisieren. Unfassbar ist mir bis heute, wie es gelungen ist, diese vielen Mitwirkenden zusammenzubringen: Heinrich Böll, Harry Belafonte, Coretta Scott King, Greetje Witte-Rang, Hannes Wader, Randall Forsberg, Robert Jungk, Erhard Eppler und Petra Kelly, um einige der wichtigsten zu nennen. Dem Vorwurf des Antiamerikanismus konnten wir durch die Teilnahme der Freund*innen aus der amerikanischen Friedensbewegung begegnen.

Was war damals eure Rolle bei ASF?

Peter Scherle: Ich war am Aufbau der Friedenswochenabteilung seit 1979, die damals Karl Klaus Rabe wesentlich vorantrieb, als ASF-Freiwilligensprecher im Berliner Büro beteiligt und habe dann noch bis nach der Demo in Bonn in der Friedenswochenabteilung gearbeitet. Gabriele Scherle: Ich war Mitglied im Vorstand der ASF. Allerdings war ich schon vorher als Mitarbeiterin der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden in Königswinter beim Friedensthema engagiert. Die AGDF war ja auch Mitveranstalterin der Demo. Wichtig ist vielleicht noch, welche Bedeutung Kurt Scharf, der frühere Bischof von Berlin-Brandenburg und unser damaliger Vorsitzender, für das ganze Unternehmen hatte. Seine moralische Autorität war von größtem Gewicht. Dass er später in der UNO zu einer Rede eingeladen wurde, war allerdings auch der friedlichen Demonstration vom 10. Oktober 1981 geschuldet.

Was hat die Friedensbewegung als politische Bewegung ausgelöst? Wo habt ihr Zivilcourage und Widerstand erlebt?

Gabriele und Peter Scherle: Die Friedensbewegung hat – wie alle sozialen Bewegungen bis heute – Lernprozesse ausgelöst. Es ist eine tiefe Erfahrung zu sehen, was sich mit eigener Kraft in Gang setzen und bewegen lässt. Mit Abstand lässt sich zwar sehen, dass vieles zusammenkommen muss, damit solche Ereignisse wie damals in Bonn zustande kommen. Mit dem Abstand von 40 Jahren lässt sich auch erkennen, wie wenig vorhersehbar politische und gesellschaftliche Wirkungen sind. Die eigentliche Zivilcourage besteht doch darin, nicht alles zu überblicken und trotzdem mit aller Kraft für ein Anliegen einzutreten. Allerdings – und das halten wir für den wichtigsten Ertrag von 1981 – hat der friedliche Protest dazu beigetragen, dass der politische Diskurs in der Bundesrepublik gestärkt wurde und die Notwendigkeit von Frieden und atomarer Abrüstung nicht mehr eine Sache der Expert*innen, sondern aller Bürgerinnen und Bürger wurde. Widerstand ist also nicht nur ein Thema in Extremsituationen. Die Gesellschaft insgesamt hat sich damals als widerstandsfähig erwiesen.

Gabriele Scherle ist Theologin und war bis zu ihrem Ruhestand 2017 Pröpstin für Rhein-Main in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Von 1980 bis 1984 und seit 2019 ist sie Mitglied im ASF-Vorstand.

Peter Scherle war bis zu seinem Ruhestand 2020 Professor für Kirchentheorie und Kybernetik am Theologischen Seminar Herborn. Er war von 1978 bis 1979 ASF-Freiwilliger in Großbritannien und von 1979 bis 1981 als Freiwilliger in der Friedenswochenabteilung im ASF-Büro in Berlin tätig.

Jutta Weduwen ist Geschäftsführerin von ASF

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