Dorothea Schneider und der Verein Augen auf e. V.
Selten erlangen Menschen, die Demokratiearbeit machen, öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung. Bei Dorothea Schneider und ihrem Verein Augen auf – Zivilcourage zeigen ist das anders: Besonders in den letzten Jahren klopfen bundesweit agierende Medienvertreter*innen regelmäßig am Büro in Löbau/Oberlausitz an und bitten um ein Statement. Der Verein wird mit Preisen geradezu überschüttet. Was unterscheidet Augen auf e. V. und seine Gesichter von anderen?
Die Biografie der 36jährigen Dorothea Schneider lässt sich schnell zusammenfassen: als Jugendliche von Dresden zur Ergotherapieausbildung in die Provinz nach Zittau/Ostsachsen. Erstes politisches Engagement bei Augen auf e. V. vor fast 20 Jahren, weil sie die Nazis auf der Straße doof fand. Haus, vier Kinder. Das klingt nach einem klaren Kompass.
Wir sind auf dem ÜBERLAND Festival in Görlitz, einem Festival für Akteure im ländlichen Raum. Anfang September 2021. Doro und ich haben einen kompletten Festivalstrang gemeinsam vorbereitet. Die Sache ist viel größer geworden als geplant. Wir haben uns über ein Jahr hinweg gegenseitig bei Laune gehalten, wenn wir auf Selbstorganisierung setzten und wir letztlich doch viel mehr machen mussten als geplant. Thema: OPEN Neuland LAUSITZ. Die Stimmung ist super – zahlreiche Akteur*innen aus der Region sind gekommen, freuen sich nach der langen Distanzzeit wieder zusammen zu sein. Neben Feierlaune besteht der Wunsch, enger zusammenzurücken, andere Aktive aus der Lausitz kennenzulernen. Alle wissen zu gut warum, denn zwei Wochen später erscheinen die Bundestagswahlergebnisse auf den Bildschirmen. Zweitstimme AfD im Landkreis Görlitz: 32,5 Prozent. Tino Chrupalla, den wir nicht eingeladen haben zu unserem Wahlforum am Festivalsonntag, der aber auch dort kaum erschienen ist, wo er eingeladen wurde, hat mit 35,8 Prozent sein Direktmandat verteidigt.
Ich frage Schneider bei unserem Telefontermin, ob sie überrascht war vom Ergebnis: „Nein. Weißt du, wir arbeiten seit Jahren an dem Thema und ich habe erlebt, dass im Vorfeld der Wahlen und danach viele zu uns kamen und gesagt haben, dass es bestimmt ganz schlimm wird mit der AfD. Doch auch durch die Coronaproteste war lange klar, wie die Stimmung ist und dass die Wahl so ausgehen wird. Mich erschreckt es eher, dass so viele Leute jammern und nichts tun.“ Ohne Vorwurf in der Stimme ergänzt sie: „Klar ist Engagement anstrengend, aber da gibt es so viele Wege, was zu tun. Und sei es nur im Privaten Stellung zu beziehen, auf Veranstaltungen von anderen hinzuweisen oder einfach nur mal fünf Euro zu spenden.“
Kurz erwähnt Schneider, dass viele Engagierte ausgebrannt seien und sie sich ein Verteilen auf mehrere Schultern auch in Ostsachsen wünscht, wechselt aber schnell das Thema. Sie wirkt positiv und strahlt eine Selbstsicherheit in ihrem Tun aus, wie es wenige in dem Bereich der politischen Arbeit in Sachsen tun. Ich stelle mir die Frage, ob ihr nie Zweifel kommen. Im Laufe des Gespräches wird mir klar, dass es vor allem an der persönlichen Verwurzelung mit dem Verein liegt und der tiefen Überzeugung, dass es der Region schlechter ginge, wenn es Augen auf e. V. nicht gäbe.
Augen auf e. V. ist kein Bildungsverein wie jeder andere. Dem Verein merkt man seine Herkunft als Initiative noch immer an, obgleich er in den letzten Jahren vielleicht zu schnell gewachsen ist und manchmal Struktur fehlt: „Unsere Mitglieder kommen heute zu kurz. Früher ist uns das besser gelungen, die Leute einzubinden“, bedauert Schneider. Das Corporate Design – das gibt es immerhin, wohingegen die Webseite auf dem Stand von Anfang 2018 ist – sieht eher aus, wie das eines Festivalveranstalters. Würde die AfD in Sachsen mitregieren, wäre der Verein als einer der ersten weg, denn von den Fördermittelgeber*innen wird nicht gerne gesehen, wenn Träger*innen gegen eine demokratisch legitimierte Partei wettern. Das passiert auf Facebook aber permanent. Augen auf e. V. glänzt mit klaren Aussagen und Präsenz. Mit Aktionsformen, die ungewöhnlich sind und witzig: Im Sommer 2021 tingelte das „Goldene Ei“ durch Sachsen – ein Wohnanhänger aus den 80ern, der in einer gemeinsamen Vereinsaktion umgebaut und gerade so golden angestrichen wurde, dass er noch durch den TÜV kam. Die Wochen vor der Wahl stand er auf dem Marktplatz in Zittau, im Stadtpark in Görlitz und beim BOUNCEN IN BAUTZEN Kulturfestival im Plattenbaugebiet in Bautzen: „Limo, Bockwurst, Politik“ hieß das Format. Da, wo wissenschaftliche Institute von aufsuchender politischer Bildungsarbeit und einer Ausrichtung nach Räumen und nicht nach Zielgruppen forschen, macht Augen auf e. V. das einfach. Seit über 20 Jahren. Nicht intellektuelle Auseinandersetzung, keine komplizierten Veranstaltungstitel oder hochschwellige Mehrtagesformate, sondern trinationale Fußballtourniere und lustige Plakate sind die Mittel der Wahl. Anfang der 2010er Jahre traten Schneider als „Miss Trauen“ und ihr Kollege als „Karl Klausel“ verkleidet auf Pressekonferenzen in Berlin auf, um gegen die sächsische „Extremis-Mus-Klausel“ vorzugehen. Aber es geht auch ernst: Den Sächsischen Förderpreis für Demokratie gab es 2019 für die Kunstaktion „2262 – Europa im Krieg“. Die Schuhe sollten an die – laut UNHCR alleine im Jahr 2018 – 2.262 ertrunkenen Menschen im Mittelmeer erinnern. „Charmant provokant – bis es uns nicht mehr braucht“, so die Selbstbeschreibung für die „Lebendige Bibliothek“ auf dem ÜBERLAND Festival.
Doch spricht man mit den Aktiven des Vereins, tun sich auch Bedenken auf, die Wirksamkeit mancher Aktionen betreffend. Oft ist es stressig, die Ressourcen sind halt begrenzt. Schneider formuliert es so: „Natürlich haben auch wir nicht das Rezept. Wir machen vielleicht auch den Fehler und bieten mittlerweile zu viele Veranstaltungen an, die klassische Bildungsangebote sind, obgleich Wissensvermittlung natürlich wichtig ist. Hausintern diskutieren wir, wen wir eigentlich erreichen wollen. So haben wir im Sommer ein einwöchiges Demokratiecamp unterstützt, wo rechtsaffine Jugendliche mit dabei waren. Ich selbst finde, wir sollten mehr solcher Projekte machen, in denen wir mit denen arbeiten, von denen eine Gefahr für die Demokratie ausgeht, solange wir sie noch erreichen können. Und vor allem sollten wir auch wieder mehr feiern. Momente schaffen, die den Alltag bereichern und Zusammenhalt fördern.“
Bei der „Karawane der Vernunft“, einer Aktion im Sommer 2020, gegen die teils reichsfahnenschwingenden Cornoaprotestler*innen an der B96, schlug dem Verein und den Kooperationspartner*innen auch aus bürgerlichen Kreisen viel Ablehnung entgegen. Er wurde wiederholt in eine Ecke gestellt, die ihn als Sympathisierenden mit militanten Aktionsformen beschrieb. Auf die Frage, ob die Außenwirkung der Karawane nicht eher zur Polarisierung in der Region beigetragen habe und die Leute sogar noch eher in die rechte Ecke der Protestler drängte, reagiert Schneider vermutlich nur nicht genervt, weil wir uns kennen: „Es ist uns von Anfang an klar gewesen, dass wir da in ein Hornissennest stechen. Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich diesen Vorwurf der zusätzlichen Spaltung satthabe. „Nur wenn wir Probleme aufzeigen und diese wahrnehmen, können wir als Gesellschaft was dagegen tun.“ Und genauso war es ja: Auch durch unsere Aktion hat die Presse bundesweit über den Rechtsruck in der Szene der Kritiker*innen der Coronamaßnahmen berichtet. Und teils hatten wir sogar positives Feedback von Leuten, die mit auf der Straße standen, protestieren wollten, aber keine Lust auf die Vereinnahmung durch Rechte hatten. Warum soll denn immer die eine Seite die Klappe halten, nur damit die andere sich nicht auf die Füße getreten fühlt? Es geht ja auch darum, diejenigen hier in der Region zu halten, die sich noch engagieren.“
Zum Schluss unseres Gesprächs komme ich nochmals auf die Frage zurück, woher sie ihre Kraft nimmt, weiterzumachen. Sie beschreibt eine Situation 2016, in der sie auf einer Veranstaltung in Zittau von stadtbekannten Neonazis mit der jüngeren Tochter im Tragetuch und der älteren an der Hand umzingelt wurde. Die Klage wurde später fallengelassen, es habe keine Bedrohungslage bestanden. „Ich glaube, ich tue es vor allem auch wegen und für die Zukunft meiner Kinder. Mein Vater hat mir schon gesagt: „So ein Pinscher kann dir nicht ans Knie pinkeln.“ Mir hilft es, dass wir in der Familie viel darüber reden. Und auch im Verein weiß ich: Letztlich können wir uns alle aufeinander verlassen, wenn es hart auf hart kommt.“
Susanne Gärtner lebt seit 1997 in Dresden. Sie arbeitet als politische Bildnerin und ist Mitbegründerin des Bündnis gegen Rassismus – für ein gerechtes und menschenwürdiges Sachsen. Ehrenamtlich engagiert sie sich unter anderem im Verein Jugendbegegnung in Theresienstadt und in der Gruppe gegen Antiromaismus.