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Karel Holomek (*6. März 1937, Brno, Tschechoslowakei) ist Aktivist, Dissident und Politiker. Er engagierte sich nach 1990 stark für die Emanzipation von Rom*nja und Sint*izze und war einer der Gründer des Museums der Roma-Kultur in Brno, Abgeordenter im Tschechischen Nationalrat (1990-1992) für das Bürgerforum (Občanské fórum), Mitglied des Regierungsrats für Menschenrechte und Chefredakteur des Rom*nja-Magazins Romano Hangos. Seine Familie überlebte die NS-Verfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren in Verstecken. Sein Vater Tomáš Holomek wird als der erste Roma-Hochschulabsolvent in der Vorkriegstschechoslowakei (in den 1930er Jahren) bezeichnet. Karel trat nach 1945 wie sein Vater der Kommunistischen Partei bei und wurde Berufssoldat. 1969 kritisierte er die Invasion des Warschauer Paktes. Er wurde sofort entlassen und arbeitete bis 1989 als Chauffeur. In den 1970er Jahren machte er sich mit den Disidenten bekannt und verbreitete Samisdat, nicht systemkonforme Veröffentlichungen. Anfang der 1980er Jahre flog er auf und kam kurzzeitig in Haft.
Mehr über ihn und seine Familie lesen Sie in der Laudatio für den Prix Irene, einem Preis für Menschen, die sich zur Verständigung von Menschen und Frieden einsetzen, die der Schriftsteller Martin Šimečka 2007 hielt.
Laudatio für Karel Holomek anlässlich der Verleihung des Prix Irene (Preis für Menschen, die sich zur Verständigung von Menschen und Frieden einsetzen), 2007, übersetzt von Bianca Lipanská
von Martin Šimečka
Liebe Freunde,
als ich von Helena Klímová gebeten wurde, eine Laudatio auf den heutigen Preisträger des Preises Prix Irene zu halten, wies ich sie darauf hin, dass Karel Holomek mein Onkel ist. Aber Frau Klímová versicherte mir, dass es nicht meine Aufgabe sei, den Preis zu verleihen, denn diese Entscheidung wird schließlich von anderen getroffen, meine Aufgabe bestehe darin, meine Anerkennung für den Preisträger auszudrücken – und ein Lob kann doch persönlich ausgedrückt werden. In diesem Fall habe ich die Aufgabe mit großer Freude angenommen, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich auch wirklich alle Erwartungen erfülle. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich kurz auf die Reise zu machen, warum und wie Karel Holomek zu dem wurde, der er heute ist.
Normalerweise ist es so, dass man selbst erst als letzter dieses Phänomen bemerkt, wie einzigartig eine nahestehende Person für die ganze Gesellschaft ist, denn für uns sind doch alle nahestehenden Menschen etwas Besonderes, aber dass dies über den Familienkreis hinausgeht und Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins wird, merkt man eben, wie gesagt, erst als letzter.
Irgendwann Ende der neunziger Jahre wurde mir klar, dass, wenn in der slowakischen Gesellschaft der Name Karel Holomek fiel und ich sagte, dass er mein Onkel sei, bewundernde Blicke der Anwesenden auf mir ruhten, und ich sonnte mich vergeblich in dem Glanz des Respekts, den Karels Name auslöste.
An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, die Gründe aufzuzählen, warum Karel zu einer so bedingungslos akzeptierten Autorität in der tschechischen und slowakischen Gesellschaft wurde.
Aber das würde bedeuten, dass man Eulen nach Athen tragen würde; wir kennen schließlich alle Gründe.
Viel interessanter ist die Frage, welche inneren Prozesse und äußeren Einflüsse einen Menschen so formen, dass sein Leben Schritt für Schritt zu einem bewundernswerten Menschenwerk wird?
Ist man zu Charakterstärke und moralischer Haltung prädestiniert, oder formt man sie erst mit der Zeit und unter dem Druck der Umstände?
Als ich ein Junge war, habe ich Karel für mehrere Dinge bewundert. Er hatte einen Motorroller, damals der Stolz der tschechischen Designbranche auf dem er mit seiner Frau Marta, die ein Kopftuch trug, aufs Wochenendhaus in der Nähe von Brünn fuhr – und beide sahen aus wie aus einem Felini-Film. Karel fuhr mich mit dem Roller durch den Garten und ich werde das nie vergessen.
Außerdem machte er auf Bitten von mir und meinem Bruder hin gelegentlich einen Handstand und kletterte sogar auf den Händen die Stufen zur Veranda hinauf. Denn er war ein Meister im Turnen und erlaubte uns gelegentlich, die Stärke seiner Bauchmuskeln mit den Schlägen unserer kindlichen Fäuste zu testen.
Und als er Hauptmann wurde, kam er in seiner Uniform zu unserem Wochenendhaus und brachte uns eine Handvoll Sterne. Kurz gesagt, er war in den Augen meiner Kindheit ein romantischer Held. Vor allem, als sein Blut kochte, in seinen Adern aufbrauste und er mit fester Stimme in das entsetzte Schweigen der Familie sagte, dass er die Bemerkungen über die Roma, die meine rassistische Großmutter gelegentlich im Vorbeigehen machte, nicht hinnehmen würde.
Damals wusste ich nichts über Rassismus, genauso wenig wie ich wusste, dass Karel als kleines Kind von seiner Mutter vor dem Transport gerettet wurde, indem sie in einer Winternacht während des Krieges in ein anderes Dorf flohen.
Damals hatte ich keine Ahnung von einer der drängendsten Fragen, die sich ein Mensch stellen kann und die im zwanzigsten Jahrhundert ihre besondere Dringlichkeit erlangte. Die Frage lautet: Warum bin ich im Gegensatz zu den Anderen am Leben geblieben, obwohl ich – wie sie – für den Untergang bestimmt war?
Die Schicksale derjenigen, die sich diese Frage stellen mussten, weil sie überlebt haben, unterscheiden sich. Simon Wiesenthal widmete sein Leben der Gerechtigkeit und der Bestrafung von Nazi-Verbrechern, Primo Levi der Literatur, doch das schützte ihn nicht vor seinem Selbstmord.
Karel, so glaube ich, ist über einen langen Zeitraum hinweg zu dieser Antwort gereift:
Ein wichtiger Wendepunkt war das Jahr 1968. Er war gerade mal etwas über dreißig, als er gleich zweimal hintereinander rebellierte: gegen das System, das ihm seine Seele rauben wollte, aber auch gegen seinen Vater, der ihm seine Vorstellung von seiner Zukunft aufzwingen wollte. Im Übrigen hat Karls Geschichte im Nachhinein einen etwas grotesken Aspekt, denn es war nicht der Sohn, der eine so genannte Geisel des Staates war, sondern der Vater, der entgegen der üblichen Praxis für die Sünden seines Sohnes mit dem Verlust seiner Karriere während der Zeit der Normalisierung bestraft wurde.
Meiner Meinung nach war Karels Rebellion damals jedoch eher seinem Charakter geschuldet: Er war einfach ein romantischer Hitzkopf, der sich über jede Ungerechtigkeit oder Lüge ärgerte.
Die Familiengeschichten über seine Zusammenstöße mit Bürokraten jeglicher Art, einschließlich der Polizei, waren legendär, und wir amüsierten uns köstlich über das resignierte Entsetzen seiner Frau Marta, deren Schicksal es war, neben einem Pulverfass zu leben.
Äußere Einflüsse traten in das so vorbestimmte Schicksal ein, das Karel durch seine eigene innere Stärke und die damals scheinbar nur vage vermutete Verantwortung eines Holocaust-Überlebenden für sich vorbereitet hatte. Dies eröffnete Karel den Weg, seine innere Kraft kreativ für sein großes Lebenswerk einzusetzen.
Ich begebe mich hier auf heikles Terrain, denn ich wage zu behaupten, ohne Karels vorherige Zustimmung, dass mein Vater diesen Einfluss verkörpert hat.
Die Beziehung zwischen diesen beiden Männern war eigenartig. Sie mag mit der Heirat mit zwei Schwestern begonnen haben, aber sie entwickelte sich schnell zu einer Freundschaft, deren Bindung viel stärker war.
Diese Verbindung war unter anderem ein außerordentlich starkes Verantwortungsgefühl für die moralische Verpflichtung, die uns allein durch die Tatsache auferlegt wird, dass wir als Menschen in diese Welt geboren werden. Es ist nicht leicht, die Frage zu beantworten, warum diese beiden Männer diese „kantische" Verpflichtung so viel stärker empfanden als die tschechische und slowakische Mehrheitsgesellschaft. Einen Teil der Antwort könnte man in der existenziellen Erfahrung des Überlebens während des Krieges finden.
Obwohl mein Vater nicht wegen seiner Herkunft oder Hautfarbe liquidiert werden sollte, überlebte auch er den Krieg als Junge nur durch ein Wunder: Er verließ das Haus, das von einer Bombe getroffen wurde, und die so seine Mutter tötete, nur wenige Augenblicke vor dieser Tragödie.
Ein weiterer Grund mag das Schuldgefühl gewesen sein – beide waren Mitglieder der Kommunistischen Partei, und erst die spätere Erfahrung ihrer brutalen Rache zwang sie, sich einzugestehen, dass sie durch ihre frühere Mitgliedschaft – wenn auch indirekt – eine gewisse Verantwortung für eine Vielzahl von menschlichem Elend trugen.
Vielleicht existiert eine andere Antwort, ich weiß es nicht. Aber ich denke, dass diese Freundschaft Karel einen festen Ankerpunkt gab, um herauszufinden, wie er mit seinem empfundenen Verantwortungsgefühl umgehen kann. Denn durch diese Freundschaft entdeckte er auch die Welt der „Solidarität der Erschütterten", ihre geistige und moralische Kraft. Diese Kraft wirkt auf diejenigen, die dazu bereit sind, wie eine lebenslange Kant'sche Verpflichtung. Und Karel war dazu bereit.
Wir alle kennen den Rest der Geschichte. Der November 1989 war ein großes Fest des menschlichen Wunsches nach Würde, und Karel hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Würde denjenigen wiederzugeben, die nicht selbst dafür kämpfen konnten. Mit dieser Aufgabe beantwortet Karel die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz, die Frage, welche moralische Verpflichtung die Antwort auf die menschliche Gleichgültigkeit in der Freiheit und in der Zeit nach dem Holocaust sein kann. Es ist erstaunlich, als stiller Zeuge mitzuerleben, wie diese Antwort in der Lebensgeschichte des großen Mannes, zu dem Karel wurde, reift. Und es ist erfreulich, dass die Aufgabe, die Karel übernommen hat, so bedeutend gewürdigt wird.
Martin M. Šimečka, geboren 1957 in Bratislava, ist Journalist und Autor. Er gründete 1981 die Untergrund-Zeitschrift Kontakt, 1989 war er Mitbegründer des slowakischen Pen-Clubs.