Bis heute wird an viele Opfer der NS-Verfolgung kaum erinnert, ist wenig über ihre Ausgrenzung und Ermordung, aber auch über ihr früheres Leben und ihre heutigen Nachfahren bekannt. Sinti*zze und Rom*nja wurden im Nationalsozialismus systematisch ermordet und auch in der Nachkriegszeit marginalisiert. Eine Ausstellung gibt mit historischen Aufnahmen den Opfern ein Gesicht in der Öffentlichkeit zurück. Angehörige, die Kuratorin und viele Gäste kamen zur Eröffnung ins Rathaus Neukölln zusammen.
Die gemeinsam von ASF und dem Diakoniewerk Simeon in Neukölln mit Unterstützung des Bezirks Berlin-Neukölln präsentierte Ausstellung zeigt die Lebens- und Leidenswege der Familien Laubinger, Lauenburger, Thormann, Stein, Steinbach und Ansin. Sie dokumentiert die Geschichte der Familien, die der Minderheit der Sinti und Roma angehören, und berichtet von der Verfolgung und der Ermordung ihrer Angehörigen. Die Fotografien wurden von dem Journalisten Hans Weltzel zwischen 1932 und 1939 in Dessau-Roßlau aufgenommen. Zu den Lebensmittelpunkten einiger dieser Familien gehörte auch Berlin. Die portraitierten Menschen fielen wenige Jahre später fast alle dem Genozid zum Opfer.
Der Journalist Hans Weltzel stand in engem Kontakt mit den Familien. Erhalten gebliebene Briefe und vor allem die Aufnahmen selbst zeugen von dem vertrauten und freundschaftlichen Verhältnis. Das macht diese Bilder zu einer so wertvollen Quelle, vor allem im Vergleich zu den Propaganda-Aufnahmen aus dem Nationalsozialismus.
Wer waren die von Weltzel Fotografierten und was geschah mit ihnen? Diesen Fragen sind Professor Eve Rosenhaft von der Universität Liverpool und Jana Müller vom Stadtarchiv Dessau nachgegangen. Nach vielen Jahren der Forschungen haben sie im Gedenken an die Opfer eine Wanderausstellung herausgebracht. Unterstützung erfuhren sie von einigen Nachfahren überlebender mitteldeutscher Sinti.
„Die Ausstellung ermöglicht einen einzigartigen Einblick in Momente des Lebens der porträtierten Menschen und sie ermöglicht uns damit auch ein Erinnern an diese Familien. Deswegen ist es für uns von großer Bedeutung, dass heute zur Eröffnung auch Nachfahren der Familien gekommen sind, um über ihre Familiengeschichten zu sprechen“, betonte die ASF-Geschäftsführerin Jutta Weduwen bei der Eröffnung.
Margitta Steinbach und Verena Sekanina erzählten von dem Verlust und Nachwirken der Verfolgungsgeschichte ihrer Familien bis heute. Beide engagieren sich im Verein Menda Yek für den transgenerationalen Dialog, Traumaarbeit und die Unterstützung für Sinti im Alter. Dabei setzen sie auch bewusst auf den Austausch mit Unterstützungsprojekten für Schoah-Opfer und deren Nachfahren.
Der Ansatz, gemeinsam mehr über die Verfolgungsgeschichte verschiedener Opfergruppen zu lernen, an die Menschen zu erinnern und diese Erfahrungen in Bezug zur eigenen Familiengeschichte und heutige Diskriminierungsformen zu setzen, steht auch im Mittelpunkt des ASF-Programmbereichs Geschichte(n) in der Migrationsgesellschaft. In einem Kooperationsprojekt mit dem Diakoniewerk Simeon setzen sich Stadtteilmütter aus Neukölln mit der Geschichte und Gegenwart der Verfolgung und Vernichtung von Sinti und Roma auseinander.
Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth verwies in ihrem digitalen Grußwort mit Blick auf die fortwährende Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja auf den programmatischen Ausstellungstitel: „Darum: Vergiss die Photos nicht. Vergiss die Menschen auf diesen Fotos nicht. Und vergiss nicht die Schicksale hinter diesen Fotos. Ihre Schicksale sind unser Auftrag, ihr Zeugnis zu bewahren und weiterzugeben. Die Auseinandersetzung mit dem damaligen Unrecht sensibilisiert uns für heutiges Unrecht und für die Notwendigkeit dagegen entschlossen vorzugehen. Auch deshalb ist es wichtig, dass das Schicksal der Sinti und Roma nicht vergessen wird.“
Giovanni Steinbach und Santino Bamberger vom Berliner Jazzquartett Radio Django begleiteten gemeinsam mit Romani Weiss musikalisch durch diesen Abend, auch sie kommen aus den portraitierten Familien. Die Ausstellung ist noch bis zum 23. September geöffnet und kann von Montag bis Freitag, 8 – 20 Uhr im Rathaus Neukölln besichtigt werden.
Hintergrund:
Über den Arbeitsbereich Geschichte(n) in der Migrationsgesellschaft:
Filmdokumentation des Alternativen Jugendzentrum Dessau: „Was mit Unku geschah – Das kurze Leben der Erna Lauenburger“: https://www.youtube.com/watch?v=kXSVnZrMRvQ