Freiwilligenbericht 2022 aus den Niederlanden

"Ich war nicht hier, um die Vergangenheit auszugleichen, sondern um etwas für unsere Gegenwart und Zukunft zu bewirken."

Die 19-jährige Carolin Diekmann beendete im Sommer ihren ASF-Freiwilligendienst in der Gedenkstätte Herinneringscentrum Kamp Westerbork, Niederlande. In dem ehemaligen NS-Durchgangslager Westerbork wird an die über 100.000 Juden, Sinti und Roma erinnert, die von hier aus in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Carolin organisierte Schulbesuche mit Zeitzeug*innen und führte Schulklassen über das Gelände. Lesen Sie hier Auszüge aus ihrem Abschlussbericht.

Mit der Zeitzeugin Ina van der Velde bei einem Schulvortrag. Foto: Mirthe Jansman

Was für ein Jahr! Ein Jahr voller Möglichkeiten, Mut und Freude, gleichzeitig aber auch voller Herausforderungen und Ungewissheit. Vor allem aber reich an Erfahrungen und Erinnerungen.

Im Laufe des Jahres durfte ich so viele Menschen kennenlernen, ihnen zuhören und mit ihnen ins Gespräch kommen. Ich hatte die einzigartige Chance, mit vielen Überlebenden des Zweiten Weltkriegs noch über ihre Geschichte sprechen zu können. Mit Menschen, die mir so viel Erschütterndes erzählt, aber auch Lehrreiches mit auf den Weg gegeben haben. Die Offenheit, mit der Menschen mir begegnet sind, finde ich noch immer besonders. Als deutsche Freiwillige wurde ich in das Kollegium aufgenommen, mir wurde Verantwortung und Zutrauen entgegengebracht. Und dies hat mir die Sicherheit und den nötigen Mut dafür gegeben, mich zu öffnen und selbstständig auf Menschen zuzugehen.

Ich telefoniere tagtäglich mit Zeitzeug*innen über Schulbesuche und besuche einige auch zu Hause. Bei diesen Besuchen konnte ich noch viel mehr über die jeweilige Person erfahren, als das im Rahmen eines Schulbesuchs möglich war. Ich stellte Fragen, die mich interessierten. Auf die Geschichte bezogen sowie auf das gegenwärtige Leben, die Werte und Überzeugungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Das, was sie ausmacht, nicht nur das, was sie miterleben mussten. Das war eine ganz andere Art der Begegnung, die ich sehr wertgeschätzt habe. Ich war bewegt davon, wie selbstverständlich und mit welcher Offenheit meine Gesprächspartner*innen mir von sich erzählten.

Neben der Zusammenarbeit mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gehören mittlerweile auch Führungen zu meinen Hauptaufgaben. Ich stehe vor kleinen und größeren Gruppen niederländischer Grundschulkinder und erzähle ihnen die Geschichte des ehemaligen Durchgangslagers Westerbork. Trotz Akzent, auch sicherlich mit grammatikalischen und sprachlichen Fehlern hören die Kinder mir zu, stellen Fragen und lassen sich darauf ein. Mich hat immer wieder überrascht, wie gut Kinder schon verstehen können, was für gute Fragen sie haben und wie ehrlich sie sind.

Herinneringscentrum Kamp Westerbork Foto: Carolin Diekmann
Herinneringscentrum Kamp Westerbork Foto: Carolin Diekmann

Mit am eindrücklichsten ist für mich der Abschluss einer jeden Führung am Nationalmonument von Kamp Westerbork, dessen Botschaft lautet: "Tut etwas, wenn Ausgrenzung – in welcher Form auch immer – sichtbar wird. Schaut nicht weg, sondern helft den betroffenen Menschen." Die Vergangenheit nahebringen, die schreckliche Vergangenheit dieses Ortes mit einem Appell an die nachfolgenden Generationen zu verknüpfen, das finde ich wichtig.

Was ich vor allem mitgenommen habe aus all den Gesprächen, ist, dass wir alle mehr über Geschichte sprechen und öfter Fragen stellen sollten. Meine eigene Familiengeschichte, die Rolle meiner Urgroßeltern während des Krieges, habe ich auch erst durch Nachfragen erfahren, im Rahmen der Recherche vor meiner Ausreise. Der Freiwilligendienst mit ASF hat mich auch erst dazu gebracht, Fragen zu stellen – auch zu Themen, über die eigentlich nicht gesprochen wird. Auch heute noch nicht. Das nehme ich auch als wesentliche Erfahrung mit: sich trauen.

Im Laufe des Jahres musste ich Kolleg*innen sowie Zeitzeug*innen häufig erklären, was „Aktion Sühnezeichen“ eigentlich bedeutet. Mir ist klargeworden, dass ich persönlich den Begriff „Sühne“ nicht als Begleichung der Schuld, sondern als eine bewusste Tat mit versöhnender Wirkung definiere. Ich war also nicht hier, um die Vergangenheit auszugleichen, sondern um etwas für unsere Gegenwart und Zukunft zu bewirken. Ich betrachte es als große Chance, mich mit Menschen unterhalten zu können, mit denen ich ohne ASF nie in Kontakt gekommen wäre. Mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, mit Kolleg*innen, aber auch mit meinen Mitfreiwilligen. ASF bedeutet für mich Begegnung und Austausch.

Carolins Friedensdienst wird durch zahlreiche Spender*innen und Pat*innen ermöglicht und durch den Europäischen Solidaritätskorps (ESC) gefördert.

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Kontakt

Giselind Rinn
Referentin für Fundraising
Auguststr. 80
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Tel: 030 28395-228
E-Mail: rinn[at]asf-ev.de

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