Freiwilligenbericht 2023 aus Frankreich

"Menschenrechte müssen immer wieder neu verteidigt werden – dafür will ich meinen Beitrag leisten."

Die Freiwillige Eva Keller aus Mannheim unterstützt seit September 2022 das Projekt Convoi 77 in Paris, das die Erinnerung an die Shoah lebendig hält. In ihrem Bericht schreibt sie, warum sie Erinnerungsarbeit so wichtig findet.

Die ASF-Freiwillige Eva (r.) und Nike vor der "Mur des Noms", Le Mémorial, Paris. Foto: Marilou Charles

"Salut, mein Name ist Eva, ich bin 19 Jahre alt und lebe nun schon seit über einem Vierteljahr ein ganz anderes Leben als zuvor. Ich wusste schon immer, dass ich nach dem Abitur für ein Jahr ins Ausland möchte. Ich wollte mich sozial engagieren und meinen Horizont erweitern. Unter vielen Organisationen stieß ich auf die Website von Aktion Sühnezeichen und habe mich noch am selben Tag für eine Bewerbung entschieden. Warum?

Ich finde Erinnerungsarbeit enorm wichtig, weil es unser Handeln in der Zukunft beeinflusst. Menschenrechte müssen immer wieder neu verteidigt werden – und dafür wollte und will ich meinen Beitrag leisten. Die Notwendigkeit dafür zeigt der gerade wieder aufkommende Antisemitismus und die Anschläge auf jüdische Einrichtungen. ASF vertritt genau meine Ansichten in Bezug auf Gleichberechtigung, vereintes Europa und das Einstehen für benachteiligte Menschen.

In Paris arbeite ich für Convoi 77. Dies ist eine Vereinigung, in der sich die Kinder, Enkelkinder und nahen Familienangehörigen sowie Freunde der am 31. Juli 1944 aus Drancy nach Auschwitz deportierten über 1.300 Jüdinnen und Juden zusammengetan haben. Convoi 77 will an die Deportierten erinnern, indem es die Biografien recherchiert und für die Bildungsarbeit zur Verfügung stellt.

Die Organisation hat ihren Sitz im Dokumentationszentrum „Mémorial de la Shoah“ in der Nähe der Île de la Cité. Im Eingangsbereich des großen Gebäudes befinden sich riesige Wände mit den Namen all derjenigen Menschen, welche aus oder über Frankreich deportiert wurden. An der Wand laufe ich oft vorbei und frage mich, wie das alles geschehen konnte. Ich habe auch die Namen von Bekannten meiner Familie entdeckt. Das war sehr bewegend, weil die Angehörigen gar nicht wussten, dass die Namen dort eingraviert sind.

Die Arbeit beim Convoi 77 besteht darin, Dokumente aus dem Deutschen ins Französische zu übersetzen, z.B. staatliche Mitteilungen, familiäre Briefe, Tagebücher. Ich bemerke dabei immer wieder, wie wenig man über den Holocaust in der Schule oder im alltäglichen Leben lernt. Beispielsweise war mir neu, wie erschreckend niedrig die Reparationszahlungen nach dem 2. Weltkrieg ausgefallen sind oder wie einfach viele Nazis nach dem Krieg davonkamen, wären da nicht Menschen gewesen, die dafür kämpften, dass einige, wie Klaus Barbie oder Adolf Eichmann, für ihre Taten bestraft wurden.

Jeden Dienstag kommen Nachfahren oder Bekannte von Deportierten ins Mémorial und bringen uns Fotos und Dokumente mit. Das finde ich immer sehr bewegend. Es kommt zu Begegnungen, die mich wirklich zum Nachdenken angeregt haben. Ich höre Geschichten, wie die Deutschen Menschen verschleppt und getötet haben. Und die Person, die mir das berichtet, ist verwandt mit den Opfern von damals. Dann fühle ich mich als Deutsche schuldig. So entstehen jedoch auch spannende Gespräche.

Das bisher beeindruckendste Erlebnis im Mémorial war die Erinnerungsveranstaltung an den Convoi 40. Es wurden die Namen all derer vorgelesen, die mit diesem Convoi am 4. November 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Dort traf ich auch Beate und Serge Klarsfeld, welche sich dafür eingesetzt haben, dass viele NS-Verbrecher für ihre Taten bestraft wurden. Sie schenkten mir ihr Buch über ihr Leben und signierten es herzlich.

Dass ich als Deutsche und Nicht-Jüdin für Convoi 77 und in einem Café der jüdischen Gemeinde arbeite, stößt meistens auf Anerkennung. Jedoch kam es auch schon zu Begegnungen, bei denen man mich fragte, wieso ich denn dort arbeite, wenn ich doch Deutsche und nicht jüdisch sei. Ebenso fragte man mich auch, was ich als Deutsche über den Holocaust denken würde. Das hat mich zunächst verwirrt. Mit solchen Fragen wurde ich noch nie zuvor konfrontiert. Doch ich erklärte meine Gründe und wir kamen in interessante Gespräche.

Ich bin sehr, sehr dankbar für die Zeit hier in Paris. Ich genieße es sehr, hier sein zu dürfen, und die besondere Gelegenheit zu haben, jeden Tag neue Erfahrungen zu sammeln."

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