Willi über seine Arbeit in der Wiener Library | Tel Aviv

Willi Hameister war 2016/2017 Freiwilliger in Tel Aviv. Er arbeitete im Elternheim "Pinchas Rosen" und in der Alfred Wiender Library

»Auch meine Arbeit im Archiv ist weiter spannend und bereichernd, sie ist nicht so eintönig, wie man mir vorher gesagt hatte. Ich kann sogar mit stolz behaupten, ein eigenes kleines Projekt innerhalb des Archives zu haben. Es entstand, als eine Frau, die ein Buch geschrieben hatte, die Recherchematerialien zu diesem Buch zu uns in die Bibliothek brachte, mit der Hoffnung verbunden, dass diese digitalisiert und archiviert würden, damit sie immer öffentlich zugänglich bleiben könnten. Das Buch ist ein internationaler Bestseller geworden, es geht darin um die Protokolle der Weisen von Zion, eine antisemitische Hetzschrift, deren Inhalt frei erfunden und zudem noch billig kopiert wurde. In ihnen wird geschildert, wie Juden angeblich versuchen würden, mittels geheimer Tätigkeiten die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die sogenannten Protokolle dienten und dienen heute immer noch als Vorwand für die Verfolgung und Diskriminierung von Juden. Im Nationalsozialismus waren sie eine Grundlage für die Hetze gegen Mitbürger jüdischen Glaubens. Schon kurz nach ihrer Veröffentlichung im frühen 20. Jahrhundert wurden sie als Fälschung enttarnt und mehrfach als solche bestätigt, dennoch bleiben sie auch heute noch für Verschwörungstheoretiker jeglicher politischer Couleur ein Vorwand, um auf Juden und Israel zu schimpfen.

Die Archivierung und Auseinandersetzung mit diesen Dokumenten ist beeindruckend, ich lese Briefe von Menschen, die verzweifelt darum kämpfen, sich gegen Nazi-Propaganda zu wehren, sowie wissenschaftliche Abhandlungen über die Protokolle selbst und lerne so enorm viel über Antisemitismus.

Wenn man eine Art eigenes kleines Projekt zugesprochen bekommt, von dem auch noch weitere Generationen Freiwilliger zehren können, fühlt man eine Art Verantwortung, man fühlt sich in gewisser Weise wichtig und gebraucht.

Vor einiger Zeit kam dann auch die Autorin des Buches, Hadassa Ben Itto zu Besuch in die Wiener Library, um sich höchstpersönlich einen Eindruck von dem Stand der Dinge zu verschaffen. Das war wirklich mit Abstand eines der Highlights meines Dienstes. Hadassa Ben Itto ist im Krieg aus Polen geflohen, war in Israel eine hochrangige Richterin am obersten Gerichtshof, war UNO-Vertreterin für Israel und Vorsitzende der Vereinigung der jüdischen Juristen weltweit. Eine beeindruckende Frau, die ihre Karriere frühzeitig beendete, um ein Buch aus Überzeugung zu schreiben, um aufzuklären. Als diese über neunzigjährige Frau den Raum betrat, war man gezwungen Respekt zu empfinden - nicht nur für ihre beeindruckende Lebensleistung, sondern auch für ihre immer noch tadellose und anmutige Erscheinung.

Es sind solche Begegnungen und Ereignisse, die diesen Friedensdienst für mich zu einem unvergesslichen Abschnitt in meinem Leben gemacht haben. Bisweilen gibt es eine so riesige Diskrepanz, wenn ich an meine Projekte denke und die Wahrnehmung dieses Landes, wenn ich versuche sie in ein Verhältnis zu bringen. Es fällt mir schon schwer, diese Zerrissenheit zwischen diesem hochkonzentrierten Mikrokosmos meiner Projekte und der so wilden und ungreifbaren Umgebung überhaupt in Worte zu fassen.

Dieses Jahr hat mir so viele Punkte gegeben, über die ich zwangsläufig nachdenken muss. Dieses Jahr ist nun fast zu Ende und hat doch spürbare Spuren in mir hinterlassen. Israel wurde irgendwie zu einem Teil von mir.«

Willis Freiwilligendienst wurde vom "Internationalen Jugendfreiwilligendienst" gefördert. Der Text ist ein Auszug aus seinem zweiten Projektbericht.