Lotta erzählt aus der offenen Altenarbeit in Haifa

Lotta von der Gathen war Freiwillige in der Generation 2018/2019 in Haifa. Sie hat im Frauenhaus "Naschim Lemaan Naschim" gearbeitet und Schoa - Überlebende besucht, vermittelt durch die Beratungstselle "AMCHA".

»Mein zweites Projekt ist Amcha, eine Einrichtung für die psychosoziale Betreuung von Holocaustüberlebendenden und ihren Kindern in Kiryat Motzkin, einem Vorort von Haifa. Es ist Verein für offene Altenarbeit, in dem unterschiedliche Aktivitäten und auch psychische Betreuung angeboten werden.

Bei Amcha arbeite ich an zwei Tagen in der Woche, montags und dienstags. Montagmorgens habe ich den Englischkurs von meiner Vorgängerin übernommen. Es gibt inzwischen acht ältere Menschen, die gerne noch einmal ihr Englisch auffrischen möchten. In dem Kurs geht es vor allem um Leseverständnis und Sprechen. Ich bringe meist einen relativ einfachen Text mit, den wir dann zusammen lesen und danach darüber sprechen. Bisher haben wir über Fabeln, eine Schatzsuche, Tiere in Großstädten und ein Lied von Oasis gesprochen. Für mich war es am Anfang schwierig einzuschätzen, wie schwer die Texte sein sollten. Inzwischen habe ich einen ganz guten Eindruck von der Gruppe und es freut mich immer wieder, wenn ich nach der Stunde ein „Thank you, Lotta! You have succeeded.“ höre. Ich bin wirklich begeistert davon, wie motiviert die sechs Frauen und zwei Männer sind, noch einmal eine Fremdsprache aufzufrischen – das ist ja nicht unbedingt einfach! Ich hoffe, dass ich in den nächsten Monaten noch weitere Spannende Themen finde und dass auch die etwas Schüchternen aus dem Kurs aus sich herauskommen und mehr reden werden. Nach der Englischstunde gibt es zwei Stunden einen offenen Brettspieltreff. Eine Runde von Damen spielt Rommé und ich spiele (seitdem ich einmal erwähnt habe, dass ich Schach spiele) mit Jossi, einem älteren Herrn, Schach. Das ist manchmal etwas anstrengend, da ich wirklich nur die Grundregeln kann und deswegen eigentlich immer verliere. Schade ist, dass es schwierig ist, die Teilnehmer persönlich kennen zu lernen, es ist kein Raum dafür da, mit einzelnen Leuten zu sprechen. Anders sieht das nach den Brettspielen aus. Dann besuche ich Beti, die in einem Haus für betreutes Wohnen lebt. Beti , sie kommt aus Serbien, spricht Deutsch und hat bei Amcha nachgefragt, ob es nicht jemand gibt, der Lust hätte sie zu besuchen. Sie ist 89 Jahre alt und war als Kind in Auschwitz. Sie erzählt mir das, als wäre es etwas ganz Normales und redet direkt danach weiter über ihre Enkelkinder, als wäre nichts gewesen. Ich höre meist einfach nur zu und stelle ab und zu Zwischenfragen. Beti ist seit 30 Jahren in Israel. Nachdem ihr Mann gestorben ist, ist sie aus Serbien zu ihrer Tochter hierher gezogen, hat aber kein Hebräisch mehr gelernt, sodass sie jetzt nicht einmal mit ihrem Urenkel sprechen kann. Sie zu sehen, wie traurig sie das macht, macht mich wiederum traurig.

Am anderen Tag findet bei Amcha ein wöchentlicher Treff statt, zu dem die meisten Mitglieder von Amcha kommen. Dort treffe ich auch Paula, eine andere ASF Freiwillige, die in Afula wohnt, aber trotzdem im selben Projekt arbeitet wie ich. Wir helfen den Raum vorzubereiten und stellen Stühle und Tische. Sobald die Mitglieder kommen, machen wir ihnen Kaffee und wärmen Burekas auf, das sind herzhafte Blätterteigtaschen. Wir unterhalten uns mit den Mirgliedern auf Hebräisch, Englisch und Deutsch über die Woche und das Wetter und wieso wir hier in Israel sind. Die meisten Mitglieder von Amacha in Kirjat Motzkin kommen aus Osteuropa und sprechen Rumänisch oder Polnisch, doch einige haben von ihren Eltern oder in der Schule Deutsch oder Jiddisch gelernt und verstehen deswegen gut Deutsch. Eigentlich wollte noch eine Frau vorbei kommen, die deutsche Briefe hat, die sie gerne übersetzt hätte, aber sie ist bisher noch nie gekommen.

Ich freue mich schon darauf, in den nächsten Monaten, die Leute hier noch etwas besser kennen zu lernen und vielleicht auch noch mehr zu Hause zu besuchen. Es gibt zum Beispiel eine Französin, mit der ich Französisch sprechen könnte.«

Der Text ist ein Auszug aus Lottas erstem Projektbericht aus dem Dezember 2018.