Lena - Marie Vahl war 2018/2019 Freiwillige in Nahariya und hat im Projekt Kiwunim mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet sowie in der offenen Altenarbeit mit AMCHA.
»„Kiwunim“ hat es sich zum Ziel gesetzt, junge Erwachsene mit körperlichen Behinderungen auf das Leben in Selbstständigkeit vorzubereiten und Selbstbewusstsein zu vermitteln. In „Kiwunim“ gibt es zum einen das Projekt für die „Jugendlichen“ von 18-20J., welche in einer Art zweijährigem Erziehungsprogramm auf die Selbstständigkeit vorbereitet werden. Wer älter ist als 20 und dieses Programm schon durchlaufen hat, gehört dem „erwachsenen Programm“ an. Diese jungen Erwachsenen dürfen allein oder in WGs in projekteigenen Wohnungen in Naharyyia und Umgebung wohnen. Es gibt kein festes Programm für sie; für sie sind einfach weiterhin Betreuung und Hilfe in ihrem Alltag wichtig und sie wünschen sich vor allem die Anwesenheit von uns Freiwilligen - da wir weniger PflegerIn und mehr FreundIn für sie sein können. Wir Freiwilligen besuchen also mehrere WGs in Naharyyia und kümmern uns dort um die sogenannten Participants. Von Einkaufen, Anziehen und Wohnung Aufräumen bis hin zu Reden, Deutschunterricht geben oder gemeinsam Spazierengehen ist der Alltag mit ihnen sehr vielfältig. Zudem gibt es noch den „Shop of meaning“ ein Geschenkeladen, in dem die Participants arbeiten und teilweise auch selber handwerklich tätig sind und in dem wir teilweise auch mitarbeiten. Darüberhinaus gibt es viele weitere Aktivitäten im Angebot. Darunter wöchentliche Fahrradtouren für alle, die Lust haben.Ein abendlicher Trip zur wunderschönen Stadt Akko blieb mir besonders im Gedächtnis.
Die wunderbaren Leiter von Kiwunim machen das Herz der Organisation aus. Iris, die Chefin, ist in ganz Nahariyya für ihre Herzlichkeit bekannt und kümmert sich großartig um uns. Ebenso herzlich und großzügig ist Ofra, der Chef meines Projektzweiges. Vor 2 Wochen hatte er sogar unsere ganze WG auf einen Trip zu den Tropfsteinhöhlen im Norden Israels eingeladen, mit anschließendem Campingfrühstück an den Klippen. Ein unvergessliches Erlebnis!
Mit Problemen aller Art wird man nie allein gelassen, kann immer um Hilfe fragen. Jede Woche haben wir zudem ein Meeting um etwaige Unsicherheiten und Probleme anzusprechen oder einfach zu reflektieren. Das ist auch nötig, denn bei der Arbeit mit den Jugendlichen kommt es immer mal wieder zu Unsicherheiten. Was man hier gut lernt, ist auf das Bauchgefühl zu hören und seine Grenzen zu kennen und zu zeigen. Denn wenn man auf Vertrauensbasis mit den Menschen hier arbeitet, ist es wichtig für alle zu wissen, woran man beim anderen ist.
Ich wurde dem Junge- Erwachsene-Projekt in Kiwunim zugeteilt und bin darüber sehr glücklich. Die Participants, die ich nun betreue - 3 liebenswerte Mädchen und ab und zu ein ebenso netter Junge - mag ich sehr gern und auch sie haben mich schon ins Herz geschlossen. Ich kümmere mich vor allem um eins der Mädchen besonders intensiv, Adi. Sie kann nur sehr schlecht gehen und sehen und ist deswegen sehr unsicher. Ich begleite sie zu ihren Arztbesuchen und helfe ihr in der Wohnung. Dabei liegt mein Schwerpunkt aber nicht auf pflegerischen Tätigkeiten. Viel mehr soll ich sie ermutigen, eine Freundin und für sie da sein und bei Alltäglichem helfen, wie zum Beispiel Klamotten raussuchen, kochen und sich in der WG und innerhalb Nahariyyas zurecht zu finden. Einmal in der Woche begleite ich sie zudem zum Zug und helfe ihr beim Fahrkartenlösen und Einsteigen, wenn sie Ihre Familie besuchen geht.
Das Tolle an meiner Arbeit ist, dass ich sehr viel Eigeninitiative einbringen kann. Da meine Arbeit vor allem darauf abzielt, Selbstbewusstsein zu geben und als eine Art Vorbildfunktion ein selbstständiges Leben vorzuleben, überlege ich mir oft Aktivitäten, die ich mit den Mädchen machen kann. Ich koche und backe mit ihnen. Vor einer Woche hat sich eines der Mädchen zum ersten Mal getraut, einen Mixer zu bedienen und war sehr stolz darauf. Wenn man sie zu so etwas ermutigen kann, freut einen das immer sehr. Auch das WG-Leben ist für die Mädchen neu, so wurde ich gebeten, mir Dinge einfallen zu lassen, damit sie sich wohler im Leben zusammen fühlen und sich auch in der Wohnung wohler fühlen. Ich merke, dass mir die Arbeit mit ihnen sehr viel zurück gibt. Teilweise ist es wirklich anstrengend, immer offene Augen zu haben, geduldig zu sein und bei allem zu helfen, was sich vor allem eines der Mädchen wünscht. Aber immer, wenn man es nicht erwartet, passieren Momente die einen sehr glücklich machen. Einmal habe ich beim Zubettgehen geholfen, als mich Liat plötzlich umarmt, während ich sie zudecke. In gebrochenem Englisch meinte sie „I like you so much and am so happy, you are here. Your great“ bevor sie einschlief. Der Gedanke an diesen Moment macht mich bis heute glücklich. Und ich merke, dass ich selber aufmerksamer werde, geduldiger, organisierter, es mir Spaß macht, mir Aktivitäten für den nächsten Besuch auszudenken.
Auch habe ich ein kleines Ensemble gegründet mit Participants aus meiner Arbeit, die gerne Musik spielen. Wir fangen jetzt an zu proben und diese Art von Zusammensein und etwas gemeinsam machen, macht uns allen viel Spaß.
Was ich wirklich merke ist, dass die Sprache zu sprechen unglaublich wichtig ist. Denn nur wenige der Teilnehmer sprechen gut English und bis jetzt verständige ich mich oft mit einer Mischung aus Englisch, Hebräisch und Google Translate. Das geht zwar oft gut, aber doch ist es manchmal frustrierend für beide Seiten, wenn man sich nicht versteht. Es hilft aber super beim Lernen der Sprache, da ich gezwungen bin, so viel wie möglich zu sprechen.
Tatsächlich ist eine der wenigen Unsicherheiten die ich in meiner Arbeit habe, die Wahrung von Privatsphäre und Arbeitsleben. Da ich für die Participants mehr die Funktion einer Freundin habe, ist es manchmal schwer, die Grenze zu ziehen zwischen, Ich besuche dich, da es Teil meiner Arbeit ist und Ich besuche dich, da ich deine Freundin bin. Die Linie zwischen Arbeit und Freizeitvergnügen verwischt etwas und ich merke, dass es sehr wichtig ist, persönliche Grenzen zu ziehen und sich auch um seine Freizeit zu kümmern.
Auch die Arbeitszeiten sind gewöhnungsbedürftig, wir fangen meist gegen drei Uhr nachmittags an und enden erst gegen 9 oder 10 Uhr abends. Vormittags habe ich , wenn ich nicht bei Amcha arbeite, frei. Aber vormittags kann man Hobbys wie Orchester oder Geigenunterricht auch nicht gut verfolgen. An diese Umstellung muss ich mich noch gewöhnen.
Generell kann ich zu meiner Arbeit in Kiwunim aber nur sagen, dass ich sehr glücklich bin dort zu sein!«
Der Text ist ein Auszug aus Lenas erstem Projektbericht aus dem Dezember 2018.