Ninel Gül Kuhl war 2017/2018 Freiwillige im Projekt "Gan Or" in Haifa sowie im Altenheim "Pigat Chen".
»Schnell sind mir die Menschen, mit denen ich hier zusammenarbeiten darf, sehr wichtig geworden. Ich möchte Euch und Ihnen das an ein paar Beispielen erklären.
Wie seit Anfang des Jahres, arbeite ich weiterhin in der Klasse Gescher mit sechs Schülern und Schülerinnen zusammen. Mittlerweile hat sich ein noch engerer Kontakt zu den Schülern und Schülerinnen entwickelt. Das ist A. eine junge drusische Schülerin. Sie hat autistische Züge, ist aber im Gegensatz zu den anderen Schülern und Schülerinnen meiner Klasse körperlich so gut wie gar nicht eingeschränkt. Fast jeden Morgen hole ich sie vom Bus ab. Sie wird zusammen mit ihren beiden Brüdern und einem weiteren Schüler gebracht. Irgendwann fiel mir beim Reinlaufen in den Kleinbus auf, dass nicht nur A. auf mich reagierte, sondern der Rest mich auch erwartungsvoll anguckte und auf mein „Boker tov leculam“ (Guten Morgen an alle) positiv reagierten. Von einem der Schüler kommt seitdem jeden Tag ein erfreutes „Ninel!“. Wenn ich A. mal nicht vom Bus abhole fragt mich derselbe Schüler am nächsten Tag: „Wo warst du? Ich habe dich lange nicht gesehen.“ Mit dem einen Bruder von A. habe ich irgendwann die Routine angefangen, dass ich A‘s Tasche von ihm abhole (die hängt immer am Rollstuhl von ihm). Das mache ich nicht wortlos, sondern ich sage ihm wer ich bin und dass ich die Tasche von A. nehme und ob er denn wisse wer A. sei? Während dieser Unterhaltung formt sich sein Mund langsam zu einem Lächeln, während seine Augen schüchtern für ein paar Sekunden den Blickkontakt suchen und dann wieder in die andere Ecke des Raumes wandern. So entwickelte sich auch außerhalb des Klassenverbandes Kontakt zu Schülern und Schülerinnen.
A. träumt sich oft in ihre eigene Welt, blickt oft ernst und nicht direkt in meine Augen und mag keinen Körperkontakt. Und trotzdem habe ich mit ihr eine enge Beziehung. Sie nimmt mich viel stärker war, blickt mir in die Augen und fängt an zu lachen, wenn ich auf sie zu laufe. Besonders hat es sicsich ergeben, dass wir oft schaukeln gehen. Dabei blüht sie komplett auf, lacht aus vollem Hals und jauchzt. Eine weitere schöne Tradition von A. und mir ist, dass ich sie mit Spitznamen anspreche und sie sich entscheidet, wann sie reagiert. Ich sitze also neben ihr und beginne ihren Namen zu Spitznamen umzuformen, sage ihr „Habibdi“ (Arabisch für Liebling) oder „Hamouda scheli“ (meine Süße auf Hebräisch). In dem Moment, wo ich „Jaffa scheli“ (meine Schöne auf Hebräisch) sage, blickt sie hoch und lächelt mich an. Ein Geschenk ihrerseits an mich und an die Schüler und Schülerinnen der Klasse ist, dass sie ihre Zuneigung zu uns zeigt, indem sie versucht uns zu küssen. Das ist für mich eine sehr berührende Geste, insbesondere im Hinblick darauf, dass sie eigentlich versucht, Körperkontakt zu meiden. Aber Stück für Stück hat sie Vertrauen zu mir aufgebaut und so kann es sein, dass ich nach dem Mittagessen neben ihr sitze und sie ihren Kopf auf meine Brust legt und einschläft.
Auch mit H. habe ich einen besonders engen Kontakt. Er hat nur eine leichte geistige Behinderung. Dadurch wirkt er oft vom Alltag in Gan Or gelangweilt und sucht dementsprechend auch gerne nach Aufmerksamkeit, die ich ihm auch gerne gebe. Seit Beginn des Jahres versuche ich mir Zeit zu nehmen, um mit ihm allein zu reden. Im Laufe des Jahres wurden die Gespräche Stück für Stück länger, besonders umso besser ich Hebräisch sprechen kann und weiß, was ihn interessiert. Genau solche Momente, wie die Geschilderten mit A. und H. als Beispiel sind für mich von großer Bedeutung. In solchen Situationen habe ich das Gefühl als Freiwillige tätig zu sein und nicht nur als Freiwillige, die fehlende Arbeitskräfte ersetzt. Und in solchen Situationen wird für mich auch klarer, was es für einen Zusammenhang zwischen Gan Or (der Schule) und Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gibt. Die einzelnen Momente in denen ich in Einzelbetreuung mit einem Schüler und einer Schülerin zusammenarbeite sind das Extra, dass man als Freiwillige oder Freiwilliger als Einzige anbieten kann. Es sind die Aufgaben, für die sonst niemand Zeit hat. Es fordert die Zeit sich in den Schüler oder die Schülerin hinein zu versetzen und Stück für Stück zu verstehen, was dem Schüler und der Schülerin viel Spaß bereitet und in welchem Bereich Förderung möglich ist.«
Ninels Freiwilligendienst wurde unterstützt durch die Stephanus Stiftung. Der Text ist ein Auszug aus ihrem zweiten Projektbericht.