Pawel Markowitsch Rubintschik - Andenken an einen Partisanen

© Aleksandr Gluz/Fonds Eva, St. Petersburg

Am 2. Oktober 2022 ist der Holocaust-Überlebende und Partisan Pawel Markowitsch Rubintschik in St. Petersburg verstorben. Er begleitete uns als Zeitzeuge und langjähriger Projektpartner.

„Der Krieg hat mich, einen dreizehn Jahre alten Jungen, im Pionierlager bei Minsk erwischt.“ Mit diesen Worten beginnt ein seitenlanger Text, in dem Pawel Markowitsch Rubintschik, geboren am 27. März 1928 in Kursk, Zeugnis von seinen grausamen Erlebnissen unter deutscher Besatzung ablegt. Gleichzeitig schildert er darin die Geschichte seines Überlebens, gespickt von Augenblicken der physischen Entbehrungen und Denunziation, wie auch der Solidarität. Eine Existenz am Rande des Aushaltbaren, voller Zufälle und kühnem Widerstand. Im Herbst 1943 gelang ihm die Flucht aus dem Minsker Ghetto. Danach schloss er sich einer sowjetischen Partisaneneinheit an, die nichts gegen die Präsenz von Jugendlichen und jüdischen Überlebenden des NS-Terrors einzuwenden hatte – was keineswegs selbstverständlich war. Bis zum Sommer 1944 leistete er seinen persönlichen Beitrag zur Befreiung – von der Schaffung winterfester Unterkünfte bis hin zur Sprengstoffbeschaffung. Mit sechzehn Jahren traf er seine Eltern wieder, die weit entfernt von der Front überlebt hatten.

Im Leningrad der Nachkriegszeit absolvierte Pawel Markowitsch ein Studium an der Akademie für Forsttechnik und war später in leitenden Positionen in der Holzwirtschaft tätig. Seine Partisanenvergangenheit reihte sich zwar in das offizielle Siegernarrativ ein, dieses wiederum blendete aber nicht nur zentrale Details seiner eigenen Überlebensgeschichte aus, sondern auch die zielgerichtete Ermordung sowjetischer Jüd*innen. Nicht zuletzt fand darin der Antisemitismus, dem er von sowjetischer Seite ausgesetzt war, keinen Platz. 1993 schließlich erfolgte die Gründung der von ihm über viele Jahre geleiteten regionalen Vereinigung jüdischer KZ- und Ghetto-Überlebender. Vorrangig als Interessenverband gedacht, initiierte Pawel Markowitsch in den Räumlichkeiten der Organisation auch die Einrichtung eines Holocaust-Museums: Was Faschismus für die jüdische Bevölkerung bedeutete, sollten junge Menschen aus dem Blickwinkel Überlebender erfahren. Selten ließ er sich anmerken, dass seine Lebensaufgabe, die Bewahrung der Erinnerung an die Opfer, ihn immense innere Kraft kostete.

Mit ASF verband Pawel Markowitsch nicht nur die Arbeit zahlreicher Freiwilliger mit jüdischen Überlebenden in St. Petersburg, sondern die Auseinandersetzung mit einer existenziellen Lebensfrage. Frei nach Léon Poliakov „den Holocaust persönlich nehmen“ wollten er und sechzehn weitere Überlebende des Minsker und anderer Ghettos in Osteuropa im hohen Alter endlich den Ort besuchen, an dem ihre Vernichtung akribisch geplant wurde und der ihr Leben so brutal veränderte – das Haus der Wannsee-Konferenz.

Es war für ASF eine große Ehre und besondere Freude, diese Reise zu organisieren, die im August 2012 stattfand. ASF stand Pawel Rubintschik und seinen Freund*innen, die er zum großen Teil aus der Zeit im Minsker Ghetto kannte, zur Seite, als sie in der Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" der Frage nachgehen konnten, warum die Nazis gerade sie und viele weitere Millionen Jüd*innen umbringen wollten. Ehemalige und aktuelle Freiwillige haben die Gruppe einfühlsam durch den Reichstag geführt, eine Schifffahrt gemacht, ein Barockkonzert im Schloß Charlottenburg besucht, im legendären Hotel Bogota in der Lounge halbe Nächte lang geredet.

Kultur und eine ordentliche Feier schätze Pawel Rubintschik außerordentlich, ein Teil von ihm ist aber immer ein Partisan geblieben.

Am 2. Oktober verstarb er in St. Petersburg. 

 

Barbara Kettnaker, von 1997 bis 2013 Referentin für die Russlandarbeit

Ute Weinmann, Landesbeauftragte für Russland 

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