Wir trauern um Jakob Hirsch

Am 23. Februar 2018 ist Jakob Hirsch in Jerusalem gestorben. Er hat die Arbeit von ASF in Israel in den letzten Jahrzehnten als Vorsitzender, Freund und Begleiter maßgeblich geprägt. Wir trauern um einen klugen, warmen Menschen, der vielen Generationen von Freiwilligen Israel nähergebracht hat.

Geboren am 23. Juni 1924 in Halberstadt, wuchs Jakob ab dem vierten Lebensjahr in Berlin auf. Seine Eltern waren schon früh aktive Zionisten und so verwundert es kaum, dass er die Theodor-Herzl-Schule am Reichskanzlerplatz in Berlin besuchte. Noch nachdem er die deutsche Sprache über Jahrzehnte nicht gesprochen hatte, verriet ein leichter Berliner Dialekt Jakobs Herkunft.

Am Kurfürstendamm hatte sein Vater Salli Hirsch ein Anwaltsbüro. Die Mutter Edith war eine der ersten jüdischen Frauen, die Medizin studierte. Schon früh waren seine Eltern ins britische Mandatsgebiet Palästina gereist. 1935 beschließen sie die Ausreise. In Italien besteigen sie die „Theodor Herzl“ zur Fahrt übers Mittelmeer und landen in Haifa. Für Jakob eine Reise in ein fremdes Land, dessen Sprache er schon sprach. Wüste und Kibbuz-Gemeinschaften, Malaria und diese Hitze im Sommer, all das hatte wenig mit dem mondäneren Berliner Großstadtleben gemein. Die Familie zog nach Jerusalem, mit 50 waren die Eltern zu alt für das Leben auf dem Land.

Am Radio verfolgte Jakob den Angriff Deutschlands auf Polen 1939. Er teilte, was viele damals dachten: dass es „ihr“ Krieg sei, der gegen Deutschland geführt wurde. 1943 zog ihn das britische Militär ein. So kam er nach Ägypten und Italien. Als der Krieg zu Ende war, gingen einige aus seiner Kompanie in den Osten, um nach Familienangehörigen zu suchen. Erste Berichte kamen, was dort geschehen ist. Auch Jakob erfuhr später, dass ein Onkel und eine Tante in Theresienstadt ermordet wurden. Wie er stammte auch seine Frau Schoschana aus Deutschland. Die Familie war Jakob immer das wichtigste, drei Kinder zählte sie bald. Aber Deutschland und alles Deutsche, auch die Sprache, verpönte er fortan.

Er wurde Anwalt wie sein Vater; und er war gefragt: Der junge Staat Israel brauchte qualifizierte und motivierte Menschen wie ihn. Er ging zum Rechnungshof. Bis 1973 war er dort tätig, zuletzt als Staatssekretär. Anschließend ging er zu einer israelischen Bank, kontrollierte die Auslandsgeschäfte von London bis San Francisco, von Accra bis Tokio. Und jedes Jahr musste er auch nach Frankfurt. Einmal fuhr er bei einer solchen Reise nach Berlin, um zu sehen, wie es aussah nach so vielen Jahren. Die Erinnerungen kamen wieder, als er die U-Bahn am Theodor-Heuss-Platz, dem ehemaligen Reichskanzlerplatz, verließ. Das Fußballspielen unter den Kastanien auf dem Branitzer Platz, der Weg zum Postamt in der Soorstraße. Auch die Angst des Vaters, die er spürte, als dieser in der Nacht des Röhm-Putsches 1934 nochmal auf die Straße ging, aber bald wegen der judenfeindlichen Stimmung wieder nach Hause eilte.
Seine Frau Schoschana erkrankte an Krebs. 1993 fuhren sie nochmal nach Indien. Die einmonatige Reise war anstrengend, doch beide verliebten sich in das Land, das Jakob nach ihrem frühen Tod 1994 immer wieder besuchte und bis ins hohe Alter auf eigene Faust erkundete. Alleine war es schwer für ihn. Doch er öffnete nochmal ein neues Kapitel, blieb aktiv, soweit es ging, engagierte sich bis ins hohe Alter in unzähligen Initiativen.

So kam er auch eher zufällig 2002 zu Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel. Von der Arbeit und dem guten Wirken war er schnell überzeugt, nachdem er die Freiwilligen in den Seniorenheimen kennen lernte und dort sah, wie wertvoll die Begegnung der jungen Deutschen mit den älteren Menschen waren. Als Vorsitzender des israelischen Freundeskreises prägte er die Arbeit von ASF in Israel maßgeblich mit. Gewissenhaft, engagiert, informiert bis ins letzte Detail hat er die Entwicklung in diesen Jahren und darüber hinaus als Freund und Berater begleitet. Das Beit Ben Yehuda, die ASF-Begegnungsstätte in Jerusalem, wäre ohne sein Wirken sicher nicht zu dem Erfolg geworden, den es heute vorweisen kann.

In der deutschen Presse las man schon vom „Hotel zum alten Hirsch“, um zu beschreiben, mit welcher Offenheit er den jungen Freiwilligen, deren Großvater er hätte sein können, begegnete. Viele der langjährigen Freunde, die er dadurch gewann, beschreiben ihn als Mentor, als Zuhörer, als Wegbegleiter mit ehrlichem Interesse an ihrem Leben und Fortkommen. Das ist, was bleiben wird: ein Vorbild in jeder Hinsicht, ein Ehrenmann, einer, der Brücken baute zwischen den Generationen und Lebenswelten.
Er war ein Vorbild für viele in der ganzen Welt, die einen Freund verloren haben. Mit seinem Tod enden auch für mich zwölf Jahre, die er prägte wie kaum ein zweiter. Das waren nicht nur die gemeinsamen Reisen. Vor allem nach den wöchentlichen Gespräche mit ihm werde ich mich zurücksehnen. Dabei nahmen wir politische Entwicklungen auseinander, betrachteten eigene Lebenslagen, beratschlagten und fragten nach der Familie. Ich werde meinen „Saba honoris causa“, meinen Großvater ehrenhalber, vermissen.

Lukas Welz war 2005-06 Freiwilliger in Jerusalem, Israel.

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