Wir trauern um Karin Nevermann

Karin Nevermann, Quelle: ASF/Archiv

© ASF/Archiv

Karin Nevermann, Quelle: ASF/Archiv

Karin Nevermann, geborene Rohde, leitete die Arbeit der ersten Sühnezeichen-Freiwilligen in Norwegen. Zeit ihres Lebens blieb sie engagierte Begleiterin der ASF-Arbeit. Am 1. September ist sie im Alter von 90 Jahren verstorben.

Am Anfang der Sühnezeichenarbeit standen in Norwegen wie in anderen Ländern symbolträchtige Handwerks- und Bauprojekte. Karin Nevermann leitete 1959 und 1960 zusammen mit ihrem Mann Richard die Arbeitseinsätze der ersten deutschen Gruppen. Damals lebten und arbeiteten die Freiwilligen in einer Einrichtung für Kinder mit Behinderungen in Trastad/Borkenes sowie in einer Kirchengemeinde in Kokelv.

Die ersten deutsch-norwegischen Beziehungen und Freundschaften wurden zwischen drei Generationen geknüpft - die Nevermanns hatten auch ihren zweijährigen Sohn Uwe mitgebracht. Karin Nevermann schildert in ihrem Beitrag „Frauen in den ersten Sühnezeichen-Bauprojekten in Norwegen“ für die ASF-Zeitschrift zeichen ihre persönlichen Erinnerungen an diese Jahre (zeichen Nr. 2-2008, S. 10). Einleitend resümiert sie, die Leitung in Berlin habe damals Vorbehalte gegenüber der Mitarbeit von Frauen in diesen schweren und komplizierten Bauprojekten gehabt, sie wurden in erster Linie mit haushaltswirtschaftlichen Tätigkeiten zur Versorgung der Männer beauftragt.

In einem gemeinsamen Interview mit Konrad Weiß haben Karin und Richard Nevermann anschaulich geschildert, wie schwierig und teilweise dramatisch die Arbeit mit den bunt zusammengewürfelten Freiwilligengruppen der ersten Bauprojekte in Norwegen war (Konrad Weiß: Lothar Kreyssig. Prophet der Versöhnung, Gerlingen 1989, S. 350). Von Martin Niemöller ist dazu der Kommentar überliefert: „Einen solchen Haufen zusammenzuhalten, der sich auf Grund dieses Aufrufs meldet, das kann nur ein Zirkusdirektor schaffen.“

Die herausfordernden Jahre mit Sühnezeichen in Norwegen haben Karin Nevermann geprägt und sie zeitlebens mit der internationalen Sühnezeichenarbeit verbunden. Die Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen - in Norwegen mit NS-Begriffen wie Endlösung, Euthanasieprogramm und Verbrannte Erde verknüpft - blieb Leitmotiv ihres weiteren Engagements. Als aktives Mitglied im Verein war sie Verbündete ihres Mannes, besonders in seiner Zeit als Vorsitzender, und ist über Jahrzehnte treue Begleiterin unserer Arbeit geblieben.

Wir trauern um Karin Nevermann und sind in Gedanken bei ihrer Familie.

 

„Rufen Sie mich am besten nach fünf Uhr an, davor bin ich meist beschäftigt.“ Als ich die fast neunzigjährige Frau Nevermann am frühen Nachmittag vor ungefähr zwei Jahren anrief, hatte ich mit Sicherheit nicht mit einem solchen Hinweis gerechnet. Frau Nevermann war eine Frau, die auch im hohen Alter beschäftigt blieb: Sie hatte Familie, war eingebunden in den Alltag ihres Altenpflegeheimes, sie besaß einen großen internationalen Freundeskreis, hielt sich so gut es ging fit, telefonierte und las. Während des Lockdowns stand sie am Fenster, um den Pflegekräften durch Beifall ihren Respekt zu zollen und von der gleichen Stelle aus sang sie gemeinsam mit ihren Nachbar*innen Lieder, um das Gemeinschaftsgefühl aufrecht zu erhalten und sicherlich auch um Kraft zu schöpfen. Über ASF blieb sie informiert. Mehrmals sprach sie mich auf Artikel im zeichen an.

Ich habe Frau Nevermann erst in ihren letzten Lebensjahren kennenlernen dürfen. Sie war eine Persönlichkeit, die einen mit ihrer höflichen Art sehr schnell für sich einnahm. Als ich sie Zuhause besuchte, erwartete mich eine Person, die nicht nur viel erlebt hatte, sondern zugleich Offenheit für Neues ausstrahlte. Sie diskutierte und erzählte gerne. In ihrem Wohnzimmer hatte sie Zeitschriften und Fotografien mit ASF-Bezug vorbereitet, davon ausgehend berichtete sie über Erlebnisse aus neun Jahrzehnten Lebenszeit. Sie sprach über die Erlebnisse mit den ersten Freiwilligengruppen in Norwegen, über Wegbegleiter*innen aus Norwegen und Israel. Da sie selbst nicht mehr so fit auf den Beinen war, wies sie mich an, was ich ihr zu reichen hatte. Genauso engagiert berichtete sie aber auch über ihre Familie, tat ihre Meinung zur aktuellen Pflegesituation und gegenwärtigen Politik kund. Gleichsam interessiert war sie an meinem Leben. Im Gespräch wurde aber auch deutlich, dass in ihrem Leben jemand fehlte. Ihr Mann Richard Nevermann war im Frühjahr 2018 verstorben.

In der Zeit der Pandemie waren persönliche Treffen nicht möglich, weswegen wir in unregelmäßigen Zeitabständen miteinander telefonierten. Als ich mich mal länger nicht gemeldet hatte, scheute sie nicht davor zurück selbst anzurufen und mir so höflich zu signalisieren, dass sie sich über Kontakt sehr freue. Bei unserem letzten Telefonat hatten wir angedacht, uns das nächste Mal wieder persönlich zu treffen – draußen, bei Kaffee und Kuchen. Es macht mich sehr traurig zu wissen, dass dies nicht mehr möglich ist.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich Frau Nevemann persönlich lernen durfte. Ebenso bin ich dankbar, dass sie ASF so viele Jahre intensiv unterstützt und begleitet hat. Meine Gedanken sind bei Ihren Angehörigen und engen Freund*innen.

Jakob Stürmann, stellvertretender Vorsitzender von ASF

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