Wir trauern um Rudolf Weckerling.

Am 31. Januars 2014 ist Rudolf Weckerling im Alter von fast 103 Jahren verstorben. Der Pfarrer, Publizist und Friedensaktivist war langjähriger Wegbegleiter von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

Wer ist der Mensch, der Lust hat am Leben, Tage liebt, Gutes zu sehen?
Wahre deine Zunge vorm Bösen, deine Lippen vorm Trugreden, weiche vom Bösen, tue Gutes, trachte nach Frieden, jage ihm nach.
Ps 34,13-15, Psalm-Lesung am Gottesdienst anlässlich des 100. Geburtstag von Rudolf Weckerling.

Rudolf Weckerling lebte mehr als 100 Jahre vom 3. Mai 1911 bis zum 31. Januar 2014, als er auf dem Flur seiner Wohnung auf den Boden sank und starb. Proust sagt, im Tod sei das Plötzliche sanft. Das stimmt nicht immer, aber für Rudolf Weckerling mag ich es gern glauben. Sagte er doch schon eine Weile, dass er bereit sei zu gehen, aber der Herr noch nicht gerufen habe. Nun hat er gerufen und Rudolf Weckerling ist diesem Ruf gefolgt, wie er so vielen Rufen Gottes gefolgt ist. Zunächst 1929 zum Theologiestudium, dann 1934 zur Bekennenden Kirche, dann 1943 zu der Theologin Helga, seiner Frau, schon früh zur Ökumene, nach 1945 zum christlich-jüdischen Gespräch, gegen die Säuglingstaufe – Helga und er mussten sich letztlich dem Druck von Bischof Dibelius beugen -, zum Unterwegskreis gegen die konfessionelle Restauration, gegen Atomwaffen, nach Israel schon 1959, zu Sühnezeichen, zu  vielen Berliner Gemeinden aber auch zu der deutschen Gemeinde in Beirut, nach der Pensionierung 1981 wurde er zu Vakanzvertretungen in Nairobi (Kenia) und in Lagos (Nigeria) gerufen. Die geneigten LeserInnen ahnen schon, dass mit diesen Stationen nur ein Bruchteil eines so aktiven, widerständigen, lebenslustigen und - zuletzt auch lebenssatten - Christenmenschen beschrieben ist.

Rudolf Weckerling hörte diese Rufe und hielt nicht viel vom Begriff der Authentizität oder der Identität. Sich je und je verändern und reagieren auf die dringlichen Dinge in der Welt, dem Frieden nachjagen und Lust am Leben haben unter nicht immer einfachen oder auch unter heute unvorstellbaren Bedingungen. So wurde er nach seiner Zugehörigkeitserklärung zur Bekennenden Kirche und einem Fürbittgottesdienst für Martin Niemöller 1938 aus Hessen ausgewiesen; in Berlin dann Gestapohaft und Predigt- und Tätigkeitsverbot für das ganze Deutsche Reich. 1941 wurde er einberufen und kam an die Ostfront. 2009 bat er ehemalige sowjetische Kriegsgefangene um Verzeihung, dass er an diesem Krieg als Soldat überhaupt teilgenommen habe.
Die Kriegszeit zeigte ihm die Dämonen kirchlicher Kriegsbegeisterung oder zumindest Treue zu einem verbrecherischen Staat, des Antikommunismus und des Antisemitismus. So war es für ihn klar, dass er sich gegen die Restaurierung alten kirchlichen Selbstbewusstseins nach dem Krieg  stellen musste. Schmerzhaft erfuhren Helga und er die restaurative patriarchale Seite von Kirche, als ihr 1948 der mit der 1941 erfolgten Ordination erteilte Dienstauftrag entzogen wurde. Seine Auseinandersetzung mit der Unbußfertigkeit von Kirche und Gesellschaft führte ihn auch zu Aktion Sühnezeichen und zum christlich-jüdischen Dialog, zu Israel und zur Ökumene – eine Verbindung, die heute eher – um es vorsichtig zu sagen - ungewöhnlich ist.

Rudolf Weckerling, 2008 beim Jubiläum "50 Jahre Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" in Berlin

Rudolf Weckerling, 2008 beim Jubiläum "50 Jahre Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" in Berlin

Seine Beziehung zu ASF war intensiv, wenn auch nicht immer harmonisch. Nicht selten war er in den späteren 80er Jahren und dann in der Wendezeit insbesondere in Stilfragen und mit der wohl nicht selten eher auf Überstimmen als auf Übereinstimmung zielenden Kommunikation nicht wirklich einverstanden.

Nach 1999 unterstützte er durch die Gründung der Helga-Weckerling-Stiftung mit einer Einlage von 100.000 DM das Anliegen von ASF in einer extrem schwierigen finanziellen Situation. Es war ein Wunder und Wunder brauchte ASF in dieser Phase und tatsächlich kamen sie, ein Defizit von fast einer Million DM konnte beseitigt werden. Den Startschuss dazu gab Rudolf Weckerling
Er hatte viel übrig für offensives und unkonventionelles Fundraising. Wie an der Einrichtung der Stiftung zu sehen unter großem eigenen Einsatz, also nicht nur im Ton des: „Mensch müsste doch mal, oder warum macht ihr nicht…“, sondern es hieß: „Nun werden alle ESG-Mitglieder aus meiner Zeit angeschrieben und zur Zustiftung dringlich gebeten.“ Oder auch 2006, als wir Geld suchten für das Buchprojekt zum 50 jährigen Jubiläum: „Ich gebe euch 5000 Euro, wenn ihr zehn Leute bringt, die auch 5000 geben.“ Ein druckvolles Geschenk und es funktionierte.

Für mich persönlich als Geschäftsführer von ASF war diese Beziehung und waren diese Wunder-Geschenke, aber auch die Frühstücke bei ihm, wo ich die Losungen aus dem Hebräischen und  Griechischen übersetzen musste, mit ihm singen durfte, mit ihm Ideen entwickeln und verwerfen konnte, spirituelle Stärkung, die mich beschwingt und ermutigt weiter ziehen ließ.

Wunderbar auch sein Auftritt beim 50jährigen Jubiläum im Haus der Kulturen, von dem er sich eigentlich wegen seines 97. Geburtstages am 3. Mai 2011 fernhalten hatte wollen. Aber auf der Suche nach Avital Ben Chorim sah ich ihn und bat ihn auf die Bühne, wo er sich sofort auf Englisch an die Anwesenden wandte und ihnen sagte, wie wichtig für ihn und für uns alle, jetzt und in Zukunft ASF ist und sein wird.

Dankbar und traurig – dachten wir manchmal doch insgeheim, Rudolf würde ewig leben – wollen wir für dieses Leben und Sterben, den Mutmacher, den Zuhörer, den Arbeitsverteiler, den Ideenreichen, den Weltläufigen, den „wenn nicht jetzt - wann dann?“-Sager, den Freund, den Verschmitzten, den Frommen, den Ungeduldigen und den Bruder Gott von Herzen Dank sagen.

Dr. Christian Staffa

Predigt für Rudolf Weckerling

"Er sieht in der Wüste schon die Blumen, fühlt das Wasser, wo andere Trockenheit beklagen. Mut uns zuspricht, weil er spürbar Mut zugesprochen bekommt", sagte Christian Staffa anlässlich des 100. Geburtstags von Rudolf Weckerling.

"UNTERWEGS - 100 Jahre Rudolf Weckerling"

Avital Ben Chorin, Erika Godel, Andreas Nachama, Andreas Pangritz, Martin Stöhr und viele andere WeggenossInnen mehr grüßen mit ihren Texten Rudolf Weckerling, der in den Dingen des Glaubens und der Welt 100 Jahre unterwegs war und ist.

Helga-Weckerling-Stiftung

Die Helga-Weckerling-Stiftung wurde im Jahr 2005 gegründet. Mit einer Spende in Höhe von 50.000 Euro schuf Rudolf Weckerling den Grundstock für die nach seiner Ehefrau benannten Stiftung.

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Portrait über Rudolf Weckerling

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