Wir trauern um Ulrich Kreßin

Ulrich Kreßin (2. v. rechts) beim Sommerlager in Bezdružice 201

Am Karfreitag, den 2. April 2021, verstarb Ulrich Kreßin im Alter von 83 Jahren nach kurzer Krankheit. Traurig nehmen wir Abschied von einem langjährigen Weggefährten und Mitgestalter von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
Bereits in den 1960er Jahren hatte Ulrich als Sozial- und Religionspädagoge in West-Berlin Kontakt zu Aktion Sühnezeichen und engagierte sich in der Gedenkarbeit. Von 1970 bis 1980 und von 2000 bis 2004 war Ulrich im Vorstand von ASF aktiv und gestaltete in diesen Jahren die strategische Weiterentwicklung von ASF mit. Er blieb zugleich ein Mensch der Praxis und schloss sich ab 2003 mit großer Begeisterung der Sommerlagerarbeit an. Bis 2012 leistete er jährlich ein bis zwei Einsätze zur Pflege und Erhaltung jüdischer Friedhöfe in Tschechien und in der Ukraine. Viele Menschen, denen er in diesen Sommerlagern begegnete, schlossen ihn ins Herz und es entstanden Freundschaften, denen er bis zuletzt verbunden blieb. Über sein Engagement mit ASF hinaus wurden von Ulrich verschiedene Gedenkinitiativen ins Leben gerufen und begleitet, zum Beispiel das Ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee.
Ulrich war ein Menschenfreund, voller Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Wärme. Er war den Themen und Anliegen von ASF tief verbunden und hat unsere Arbeit mit seinen Ideen und mit großem Engagement bereichert. Dafür sind wir zutiefst dankbar.
Unser aufrichtiges Mitgefühl gilt seiner Frau Brigitta und seiner Familie.
Die Beisetzung wird im engsten Familienkreis stattfinden. Das Gemeindezentrum Plötzensee wird zu einem späteren Termin zu einem Gedenk- und Dankgottesdienst einladen.

Von Gedenkstättenfahrten zu Sommerlagern auf jüdischen Friedhöfen

von Ulrich Kreßin

1998 begann auf Initiative von Erika Buhr eine kleine Gruppe engagierter älterer Freiwilliger, die seit den Sommerlagern der 1960er Jahren miteinander befreundet waren, mit der Arbeit auf dem jüdischen Friedhof in Drmoul (Tschechien). Weitere Einsätze, vor allem in Tschechien, aber auch in Polen und der Ukraine folgten und die Gruppe der älteren Sommerlager-Teilnehmer*innen vergrößerte sich stetig.

Ich war 1965 Kreisjugendwart in Charlottenburg, und die Evangelische Industriejugend mit ihrem Leiter Franz von Hammerstein war unser unmittelbarer Nachbar. Zu den von mir veranstalteten Jugendgruppenleiterseminaren lud ich von Hammerstein und andere aus der Sühnezeichenarbeit als Referenten ein. Mein persönliches und berufliches Anliegen als Sozial­-und Religionspädagoge an der Versöhnungs- und Gedenkarbeit wurde durch diese Begegnungen geweckt. Die von der Evangelischen Jugend durchgeführten Gedenkstättenfahrten waren zwar manchmal auch ein Einstieg, drei Wochen „Sommerlager“ in Theresienstadt und in Auschwitz waren aber deutlich nachhaltiger. Einen besonderen Wert hatte bei diesen Lagern die praktische Arbeit.

Nach 1990 hatte ich großes Interesse, Menschen aus der DDR-Sommerlagerarbeit kennenzulernen. Dabei war mir der deutsch-deutsche Austausch sehr wichtig und die unterschiedliche Entwicklung von Aktion Sühnezeichen in der DDR und in Westberlin wurde häufig thematisiert.

Mein politisches Denken und Handeln wurde durch meine Mitarbeit bei ASF seit 1967 geprägt. Kontakte entstanden während der Sommerlagerarbeit manchmal zufällig, wenn Menschen die Gräber ihrer Vorfahren suchten. Manche waren überrascht, deutsche Christen auf jüdischen Friedhöfen arbeiten zu sehen. Gespräche und Begegnungen hatten wir mit jüdischen Gemeinden in Tschechien und in Czernowitz in der Ukraine und mit einer Gemeinde der Böhmischen Brüder in Ostrava. Dabei spielte natürlich auch immer die aktuelle politische Situation eine Rolle. Bei einigen Lagern war der Altersdurchschnitt zwischen 65 und 70. Die Gespräche untereinander über die eigene Motivation, die eigene Geschichte und die Verbindung oder auch Entfernung zu den Leitlinien von ASF waren äußerst spannend.

Ich würde sagen, dass der Austausch bei der Arbeit und bei den abendlichen Gesprächsrunden einen entscheidenden Anteil daran hatte, dass manche „Senioren“ (ein ungeliebtes Wort!) weitere Lager besuchten und sogar ein darüber hinaus gehendes Engagement mit ASF eingingen. Wichtig waren für meine Frau und mich die persönlichen Freundschaften mit Dietrich Erdmann. Er motivierte erst mich, dann auch meine Frau, an den in der ersten Zeit nur von DDR-„Sühnern“ besuchten Sommerlagern teilzunehmen. Zwei weitere Namen möchte ich nennen: Erika Buhr aus Dresden, die wohl noch vor Dietrich Erdmann mit der praktischen Arbeit in Tschechien begonnen hat und Hanusch Hron, ein tschechischer Jude, der für unsere Arbeit und uns persönlich zum Freund wurde.

Dass wir bisher immer auf jüdischen Friedhöfen gearbeitet haben, hängt natürlich mit unserer Betroffenheit über das Schicksal der Juden in der Zeit zwischen 1933 und 1945, aber auch in der Zeit der kommunistischen Herrschaft zusammen. Ich finde es gut und richtig, dass ASF, nach anfänglicher Zurückhaltung, die Altersgruppe, zu der wir gehören, in die praktischen Angebote einbezieht - nicht nur als Förderer und Spender.

aus: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. (Hrsg.): Gegen den Strom. Geschichten über Mut, Erinnerung und Demokratie aus fünf Jahrzehnten internationaler Sommerlager von Aktion Sühnezeichen, Berlin, April 2012, S. 71-72

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