Mit Wolfgang Nordmann, geb. Becker ist ein langjähriges Mitglied und ehemaliger Mitarbeiter von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Alter von 82 Jahren nach langer Krankheit in Bad Überkingen (Baden-Württemberg) nach einem erfüllten Leben verstorben.
Wolfgang war 1940 in Breslau geboren worden. Am Ende des Krieges hat es ihn nach Münster „verschlagen“ – ein Flüchtlingsschicksal von vielen. Ob ihn seine damit verbundenen Erfahrungen später zu einem Freund der Versöhnung und Verständigung gemacht haben? Jedenfalls wurde er nach Wehrdienst und Theologiestudium (in Tübingen) Vikar in Göppingen und dann 1971 Schulpastor in Neumünster. Drei Jahre danach bewarb er sich erfolgreich um die Jugendpfarrerstelle (sowas gab es damals glücklicherweise noch!) in Tübingen.
In dieser Zeit wuchsen sein Interesse an und sein Engagement bei Aktion Sühnezeichen. Der Zusatz „Friedensdienste“ war noch nicht geboren. Immer wieder nahm er an den damals stets in West-Berlin stattfindenden Mitgliederversammlungen teil und beteiligte sich kritisch am Weg von Aktion Sühnezeichen: So debattierten wir zu jener Zeit darüber, ob Aktion Sühnezeichen nicht besser in Frankfurt/Main verortet sein sollte, um den Bezug zur Gesellschaft in der Bundesrepublik zu verstärken. Es kam nicht soweit! Wichtig wurden ihm Begegnungsprojekten mit Studierenden aus der DDR.
Von 1981 bis 1986 war Wolfgang Länderbeauftragter in Israel – nach Rudolf Maurer der zweite aus Württemberg stammende Aktion-Sühnezeichen-Vertreter in Jerusalem.
Danach hatte Wolfgang verschiedene Vertretungsdienste in der württembergischen Landeskirche übernommen – so in Sindelfingen und Reutlingen, bevor er 1990 Pfarrer an der Martinskirche im Stuttgarter Norden wurde: In dieser Gemeinde war vor 100 Jahren Otto Umfrid, der bedeutende Pazifist, Kandidat für den Friedensnobelpreis und soziale Akteur, Gemeindepfarrer gewesen. Diese Beziehung hatte Wolfgang als Verpflichtung wahrgenommen – wie auch die Tatsache, dass vom nahegelegenen Nordbahnhof ab 1941 mehr als 2600 Jüdinnen und Juden aus dem süddeutschen Raum – überwiegend in den Tod - deportiert wurden.
Sein sozialpolitisches Engagement in der Stadtteilarbeit dort im Stuttgarter Norden wurde bei der Trauerfeier ausführlich und gebührend bedacht: Eine „quartierbezogene Bürgerbeteiligung“ hat er initiiert und mit Ehrenamtlichen ausgebaut. Den Ruhestand verbrachte Wolfgang in Bad Überkingen – immer noch tätig in der Begleitung von Asylsuchenden im Landkreis Göppingen, zeitweise auch im württembergischen Freundeskreis von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und lange schon im Förderverein für die Internationale Jugendbegegnungsstätte Auschwitz. Theologische und spirituelle Anregungen hat Wolfgang aus der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé erhalten.
Seine Familie notiert auf der Todesnachricht einen Satz von Joachim Ringelnatz:
„Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern.
Meine Liebe wird mich überdauern.
Und in fremden Kleidern dir begegnen
Und dich segnen.“
Ja – von Wolfgang ging Segen aus, weil er – politisch aufmerksam und unermüdlich kämpfend - von einer tiefen Sehnsucht nach Gerechtigkeit bewegt war. Dafür danken wir ihm. Die Beisetzung war auf dem Prag-Friedhof in Stuttgart – in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner letzten Wirkungsstätte als Pfarrer!
Christian Buchholz