Am 26. März 2015 ist Pavel Stránsky gestorben. Mit 94 hat er ein bemerkenswertes Alter erreicht. Im Januar erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt hat.
Bis zuletzt hat er wunderbare Artikel für das Mitteilungsorgan der "Theresienstadter Initiative" verfasst und immer wieder von seinen Elebnissen berichtet, Gruppen durch Terezín geführt, Historiker_innen und Journalist_innen Rede und Antwort gestanden. Mir sagte er einmal: "Ich reise in der ganzen Welt herum und sammle Freunde." Am 30. März haben Freund_innen aus aller Welt auf dem Prager Jüdischen Friedhof von ihm Abschied genommen.
Wohl die schwierigste Aufgabe seines Lebens war, gemeinsam mit dem unvergessenen Fredy Hirsch den Kindern im sogenannten "tschechischen Familienlager" in Auschwitz ihre letzten Wochen und Monate zu erleichtern - sie führten Theaterstücke auf, sangen Lieder, erzählten Geschichten, malten... Und versuchten stets, eine optimistische Pointe zu finden. Dr. Mengele besuchte manchmal die Vorstellungen, nahm Kinder auf den Schoß und applaudierte zum Schluss. Am nächsten Tag kam er, um sich einige von ihnen - bevorzugt Zwillinge - für seine mörderischen Experimente auszusuchen. Am 7./8. März 1944 starben fast alle noch Überlebenden des tschechischen Familienlagers in den Gaskammern von Auschwitz - über 3500 Menschen.
Die Erinnerungen daran hat Pavel sein Leben lang mit sich herumgetragen, und war dennoch kein Mensch, der einen traurig gemacht hätte - ganz im Gegenteil! Er strahlte Lebensfreude aus, nachdenklichen Optimismus, war ein aufmerksamer Beobachter und kluger Kommentator der Zeitgeschichte. Während eines von mir begleiteten Zeitzeugengesprächs in Deutschland fragte ihn eine Schülerin, ob er nie daran gedacht habe, sich die schreckliche Auschwitz-Tätowierung vom Arm entfernen zu lassen. "Muss ich mich dafür schämen" war seine Antwort, "oder nicht vielmehr andere?" .
In seinem Berufsleben war er ein Mann der Sprache, des Buches - Lektor, Übersetzer - auch hier hat er einen reichen Nachlass hinterlassen. Aber vor allem werden ihn Jugendliche und Erwachsene auf der ganzen Welt niemals vergessen, denen er die Geschichte des Holocaust sehr persönlich und versöhnlich näher gebracht hat.
Gern hat er, nachdem ihn Schüler_innen mit Fragen bombardiert hatten, die er alle geduldig und einfühlsam beantwortete, seinerseits die Jugendlichen gefragt: "Was ist das Wichtigste im Leben?" Seine persönliche Antwort war: "Die Liebe!"
Was für ein wunderbarer Mensch!
Ich bin sehr dankbar, dass ich ihn kennenlernen und viel Zeit mit ihm verbringen durfte. Er wird mir und vielen, vielen anderen sehr fehlen. Er hinterlässt eine Lücke, die nie wieder gefüllt werden kann.
Werner Imhof
Historiker und Publizist