Zum Tod von Peter von der Osten-Sacken

a mensch

Zum Tod von Peter von der Osten-Sacken (3.3.1940 – 28.6.2022)


Christian Staffa

Der HERR steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht. (Ps 16,8)

Paulus sagt: Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag
und stehe nun hier und bin sein Zeuge. (Apg 26,22)

Diese Verse bildeten Losung und Lehrtext am 28. Juni, dem Todestag von Peter von der Osten-Sacken. Sie berühren Charakter und Glauben dieses Lehrers der Kirche, der sein Leben dem jüdisch-christlichen Dialog und damit einem besseren und angemessenen, am Gespräch mit dem Judentum orientiertes Verständnis christlicher Glaubens- und Lebensformen widmete. Ein echter Zeuge, der von seiner Zunft nicht geliebt wurde und wird, der aber nicht wankte und doch wusste, dass er auf Gottes Hilfe angewiesen war.

Nahe Marienburg geboren, dann als Flüchtling und Pfarrfamilienkind in der neuen „Heimat“ eher geduldet als geliebt, gerettet von der gegenseitigen Liebe zum Fußball wurde er Neutestamentler, weil seine Gesundheit keinen Profisport erlaubte. Von 1973-1993 war er Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Berlin (West) und damit jüngster Professor in Berlin umgeben von einer Professorenschaft, die zu zwei Dritteln zur ultrakonservativen Notgemeinschaft Freie Universität gehörte. Er übernahm das Institut „Kirche und Judentum“ von Günter Harder und baute es als Schnittstelle von Wissenschaft und Kirche mit einer unglaublichen Publikationstätigkeit aus. Sein Credo war, preiswerte und qualitativ hochwertige Bücher für alle Interessierten zu produzieren, um das kirchliche Bewusstsein, wenn ich so sagen darf, zu verändern. Als er zwei Jahre Rektor der kirchlichen Hochschule war, war ich AStA-Vorsitzender und er mein einziger institutioneller lehrender Lichtblick neben den Lehrenden, die wir selbstverantwortet als AStA an die Hochschule holten, um etwas Vernünftiges zu lernen. Mir wurde klar, dass er neben dem Ausbau des Institutes „Kirche und Judentum“ bezogen auf die Veränderung des Lehrkörpers einen für mich als 20jährigen unvorstellbar langen Atem hatte. Aber in Teilen gelang der Umbau mit Neuberufungen tatsächlich schon zu meiner Studienzeit. Ab 1993 bis zu seiner Emeritierung 2005 war er dann nach Auflösung der Kirchlichen Hochschule Professor für Neues Testament und Christlich-Jüdische Studien an der Humboldt-Universität Berlin. Leiter des Institutes blieb er bis 2007. 2000 bat er mich in das Kuratorium des Institutes zu kommen, weil er befürchtete, dass diese Schnittstelle weder von der Universität noch der Kirche nachhaltig bejaht würde. In manchen Krisen nach 2007 bewahrheitete sich seine Befürchtung besonders an der Universität, der Verlag wurde aufgelöst, die Publikationen der Evangelischen Verlagsanstalt (EVA) überlassen. Nun, diese Phase ist überwunden und er hat mit Freude gesehen, dass eine tragfähige Leitung und eine Stiftungsprofessur das Institut neu beleben konnten. 

2005 erhielt er die „Buber-Rosenzweig-Medaille“ für sein unermüdliches und leidenschaftliches Engagement, das Judentum als eine eigenständige und einzigartige Größe anzuerkennen, den traditionellen judenfeindlichen Einstellungen, Denkmustern und Verhaltensweisen abzusagen und den Weg der Umkehr zu einer theologischen Neuorientierung des christlichen Verhältnisses zu Juden und Judentum zu bahnen.

Seine Leidenschaft galt eben dieser Neuorientierung, aber eben nicht nur wissenschaftlich, sondern auch kirchlich.

Zu ASF hatte er schon Kontakt als Volkmar Deile Geschäftsführer war. Er schrieb seit 1978 für die Israel-Predigthilfen. Seine Beiträge brachte dann Wolfgang Raupach in einem Buch zusammen „Weisung fährt von Zion aus, von Jerusalem Seine Rede. Exegesen und Meditationen zum Israelsonntag“, Berlin 1991. Ein immer noch wunderbar lesbares und inspirierendes Buch. Immer wieder haben wir ihn zu meiner Geschäftsführerzeit mit Erfolg gebeten, Predigtmediationen und Exegesen für die Predigthilfen zu schreiben. Zuletzt kam er auf ASF zu, weil wir beide in Buchproduktion verliebt waren, um die zweite Auflage der „Präfamina. Einleitungen zu den Lesungen des Gottesdienstes“ neu bearbeitet von ASF herauszubringen. Hier wurde sein Bestreben deutlich, dem ASF sich bedenkenlos anschließen konnte, die Kontexte der Predigttexte, die in Gottesdiensten meist ex machina verlesen werden, aus einer jüdisch-christlichen Perspektive zu erschließen. Inzwischen ist davon 2015 die 6. Auflage erschienen.

Zum 500. Geburtsjahr von Martin Luther 1984 beschrieb er Aufbrüche mit Martin Luther in dem Buch „Katechismus und Siddur“, das überraschend viele Ähnlichkeiten des so gesetzesfeindlichen Luther in seinem „Katechismus mit dem Siddur“ feststellt. Luther ließ ihn nicht los, denn er war überzeugt davon, dass wir Luther nicht einfach dem christlichen Antijudaismus überlassen können. Dabei hat er Luthers Protoantisemitismus, das war der Begriff für Luthers Judenfeindschaft, auf den wir uns einigten, nie beschönigt, aber eben doch versucht, die Ambivalenzen und seine exegetischen Stärken nicht zu vernachlässigen. Ganz im Sinne Albert Friedländers, der 1983 in einem fiktiven Gespräch mit Luther sagte: „Du hast uns das Alte Testament gerettet, nun schließe die Folterkammer.“

Noch einmal zusammen kam seine Fußballleidenschaft mit der Theologie und seinem gesellschaftlichen Engagement als er den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung von Toleranz gemeinsam mit Jérôme Boateng 2016 verliehen bekam.

Seine letzten beiden Bücher waren der großartige Galater-Kommentar „Der Brief an die Gemeinden in Galatien“ mit Vertiefungen, die den Galaterbrief auf aktuelle Konfliktlagen wie zum Beispiel die Beschneidungsdebatte hin auslegte, und das Büchlein „Die Bibel und ihre kühnen Geschichten“ zur Genesis für Kinder zwischen 12 und 120 von ihm illustriert und für seine Enkelin und Enkel aufgeschrieben. Ganz nah ist er da seinem Paulusverständnis von Glaubens-, Liebes- und Hoffnungsgeschichten. Der Geist, der sich auch immer solidarisch mit den Marginalisierten zeigte, ihre Geschichten erzählte, Paulus Geschichte und eben die des Gottes Israel und des Vaters Jesu Christi, ging ihm nie aus, aber leider sein Atem. Er war ein großes Geschenk: theologisch, emotional, als Weg- und Zeitgenosse, ein Lehrer, ein Freund, a mensch. Peter von der Osten-Sacken wird uns fehlen.   

 

Dr. Christian Staffa war von 1999 bis 2012 ASF-Geschäftsführer und ist heute der Beauftragte der EKD für den Kampf gegen Antisemitismus.

Der Nachruf erschien in geänderter Form in „die Kirche“ vom 10.7.2022

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